@Tom (Redaktion "Stadtgespräche")
Ehe wir nach Groß Klein zogen, haben wir von unserer Lichtenhäger Wohnung aus beobachtet, wie hier gebaut wurde. Hier war ja alles Moor, ganz schlechter Baugrund. Deshalb mussten sie Kies einsprengen. Bei der allerersten Sprengung haben sie die Menge falsch berechnet - die Schallwelle ging bis nach Lichtenhagen rüber. Ich war da zufällig zu Hause. Da sind die Leute mit Kinderwagen raus gerannt und haben gedacht, jetzt fängt wieder der Weltkrieg an. Alles hat gewackelt und vibriert, bei uns gab es sogar einen Rohrbruch. Am nächsten Tag meldete dann die „Ferienwelle“, der DDR-Radiosender hier im Norden, dass es in Rostock Sprengungen gäbe und mahnte alle zur Vorsicht. Die nächsten Sprengungen haben sie dann sehr vorsichtig gemacht, das ging noch tagelang.
Eigentlich sollte das Haus, in das wir einzogen, schon im Februar fertig sein. Das wurde nichts, denn die Abnahme wurde abgelehnt. Aber es gab ja Druck, durch die Planziele der DDR, also haben sie irgendwann dieses Haus mit Gewalt mit Note 3 bewertet und dann konnten wir rein. Zu DDR-Zeiten wurden die Häuser ja benotet. Wenn sie Note 4 oder 5 bekamen, durften sie nicht bezogen werden ehe nicht alles nachgebessert war. Erst ab Note 3 konnten die Leute einziehen. Damals war es ja auch so, dass die Leute noch viel selbst machten. Sie wollten ja, dass alles schnell fertig wird und sie einziehen konnten. Gezwungen wurde man dazu nicht, aber man durfte. Unsere Hausgemeinschaft hat auch viel selbst gemacht, beispielsweise die Schächte gesäubert. Das schweißte uns zu einer echten Gemeinschaft zusammen.
Damals gab es ja noch die Nationale Front[1] mit ihren Wohngebietsausschüssen. Ich war damals Mitglied. Hier im Haus war ich als Vertrauensmann von der Gewerkschaft eingesetzt. Ich bin dann als Lehrer quasi gezwungen worden – ich war gar nicht dabei, als ich gewählt worden bin – hier die Arbeit zu organisieren. Also legte ich fest, was wo zu machen ist: da muss gebohrt werden, da ist sauber zu machen usw. Und ich kriegte von der Wohnungsgenossenschaft alles, was wir an Material brauchten – und war dann auch die Ausgabestelle für Ersatzteile, neue Glühbirnen auf dem Flur und ähnliches. Das hat gut funktioniert. Das ist aber in vielen Häusern so gewesen. So eine Hausgemeinschaft hat gelebt. Wir haben zusammen gefeiert, mit den Kindern Herbst- und Frühjahrsputz gemacht. Da wurden alle Kinder rangeholt, die mussten ihren Müll wegmachen und bekamen dann hinterher einen Eisbecher zur Belohnung. Es gab in unserem Haus einen extra Raum, da konnte man auch mal so gemütlich eine Feier machen. Da sind wir zu Sitzungen zusammengekommen. Das war ein Fahrradraum, der wurde dafür ausgestaltet. Unsere Hausordnung mussten wir uns selber geben. Wir haben auch selber Winterdienst gemacht. Es gab damals einen Schneemann aus Holz, der wurde an den jeweils nächsten weitergereicht, wenn eine Familie mit dem Dienst fertig war. Wir bekamen pro Person und Jahr im Haus immer 10 Mark, das war in unserem Fall immer 500 Mark, da konnte ich schön was mit machen, etwas für die Kinder oder eines unserer Hausfeste. So lief das alles bis 1990.
Auch in unserer Wohnung haben wir Arbeitseinsätze gemacht. Einmal haben wir z.B. Brötchen gebacken, zum Verkauf bei einer der Solidaritätsaktionen in den Schulen. Das war für die Schüler sehr lehrreich. Wir haben eingekauft, im Prinzip war das ja nur Mehl, Hefe und Salz. Morgens um vier haben wir dann einen Hefeteig angesetzt, halb sechs kamen die Schüler dann hierher. Dann haben wir Brötchen gebacken, die wir dann ab halb acht verkaufen konnten. Ein Brötchen kostete 5 Pfennig. Dann haben wir festgestellt: Auch wenn wir alle verkaufen, kriegen wir nicht mal das Geld rein, was wir für die Zutaten ausgeben haben. Da ist mir das erste Mal richtig wirklich bewusst geworden, wie billig die Brötchen zu DDR-Zeiten waren. 20 Mark habe ich dann noch spendiert, damit wir doch noch was spenden konnten. Das haben wir dann auch ausgewertet und öffentlich gemacht.
Und ich habe hier unten bei uns im Haus Sero[2] gemacht: In dem kleinen Vorbau unseres Hauses gab es einen Raum – in dem habe ich zweimal in der Woche abends von 18 bis 20 Uhr Flaschen angenommen. Da kamen vor allem Kinder. Die haben sich das aufgeteilt, was sie mitbrachten, damit sie mehrmals kommen konnten. Des es gab bei mir nicht nur Geld für die Flaschen, sondern auch jedes Mal Bonbons.
Die Brücke über die S-Bahn wurde damals als Notbrücke gebaut. Eigentlich sollte nach der Fertigstellung des Neubaugebietes eine riesengroße „richtige“ Brücke folgen und die Freifläche im Areal Taklerring/Werftallee sollte eine Zufahrt von der Warnowwerft werden: Für Autos als Anbindung an die Stadtautobahn, für Fußgänger als Zugang zur S-Bahn und in den anderen Stadtteilen. Das wurde nie umgesetzt. Die Freifläche gibt es immer noch. Der Ortsbeirat hat beantragt, dass da Wohnungen hinkommen. Aber das ist ein langer Prozess.
Der Verkehrsplan war ja so gedacht, dass die Busse der Zubringer für die S-Bahn sind. Das war schon in der DDR so, das ist nichts Neues. Alle Verkehrssachen, die in Rostock gebaut werden, haben ihren Planungshintergrund in DDR-Zeiten. Das wurde damals immer sehr gut gemacht. In der DDR lief das erst so: Walter Ulbricht kam zu Besuch, dann haben sie ihn an Stellen geführt, die total hässlich waren. Dann hat er sich beschwert, wie das sein kann usw. Dann haben sie die Pläne herausgeholt und gesagt: „Wenn du uns Geld gibst, machen wir das sofort.“ So lief das damals. Auf diese Art und Weise sind viele Sachen in Rostock entstanden.
Unsere Tochter hätte zur Schule gehen können, ohne die Straße überqueren zu müssen. Hat sie nicht gemacht, weil sie immer ihre Freundin abgeholt hat. Die Spielplätze lagen im Innenhof, das war wirklich gut gemacht. Dadurch hat man nach der Wende auch wieder viele Leute mit Kindern für den Zuzug gewonnen, weil es hier ja überall Spielplätze gibt. Und die sind alle anders, die sehen nie gleich aus.
Den Namen unseres Stadttteilzentrums – „Börgerhus“ – habe haben meine Frau und ich uns ausgedacht. Das ist eine lange Geschichte. Wir haben den Namen damals als anonymen Vorschlag eingereicht. Nun war ich auch noch im Aufsichtsrat der RGS[3], die KOE gab es so noch nicht. Ich hatte vorher schon zu meiner Frau gesagt: Schreib deinen Namen auf Deinen Vorschlag. Aber sie wollte nicht. Und jetzt kam doch irgendwie raus, dass mein Vorschlag gewonnen hatte. Als Mitglied im Aufsichtsrat! Da musste man den Leuten ja irgendwie erklären, dass das nicht geschoben war. Aber die, die das ausgewählt hatten, wussten gar nicht, von wem der Vorschlag kam.
Wo jetzt das Börgerhus ist, das war meine Schule – ich war dort Lehrer, bis sie aufgelöst wurde. Zu DDR-Zeiten war das eine POS. Nach der Wende haben wir dann beschlossen, an dieser Stelle ein Stadtteil- und Begegnungszentrum (SBZ) zu bauen. Da gab es dann erstmal Streit in der Bürgerschaft – und die Rückmeldung: Wir bauen ein SBZ, wenn ein Konzept steht. Ich war damals beim Jugendclub 224 für die Finanzen zuständig und habe dann mit dem Jugendamtsleiter vereinbart, dass wir trotzdem schon anfangen. Und so stand das SBZ dann schon, als schließlich die Fördermittel kamen. Das war gut, sonst hätten wir nie eins gekriegt. In Zusammenhang mit dem Bau des SBZ ist der Jugendclub 224 dann von der AWO übernommen worden. Vorher war er noch ein „Erbe“ aus DDR-Zeiten gewesen. Jugendclubs wurden zu DDR-Zeiten viele gebaut. Nach der Wende wurde das ein Verein und da wurde ich gefragt, ob ich nicht richtig einsteigen will. Und das habe ich dann auch gemacht. In diesen Jugendclub kamen damals sehr viele Gestrauchelte, also Schulschwänzer usw. Und wir wussten ganz genau: Wenn die in der zweiten Stunde schwänzen, sind sie meistens dort zu finden. Sie saßen dann bei uns – und wir haben sie dort gelassen. Hauptsache, sie waren aufbewahrt.
Wir haben ja auch zu DDR-Zeiten immer Stadtteilfeste gemacht – die waren hier etwas ganz Besonderes, ein bisschen so wie die Ostseewoche. Zum Beispiel bekamen wir von Betrieben in Thüringen immer Weihnachtskugeln. Die Feste waren im Juli und wir hatten einen Stand mit Weihnachtsbaumkugeln. Das war Goldstaub. Die kosteten ja nicht viel, aber es gab sie eben auch nicht immer. Das Fest fand auf der Wiese beim Altersheim statt, dort wo jetzt der Kindergarten ist – oder wir haben es auch auf der Freifläche am Jugendclub gemacht.
Zur Wende, im Jahr 1990, war ich verantwortlich für den Wohnbezirksausschuss und für unser Haus als Hausvertrauensmann. Ich habe mir gesagt: Das muss weiter gehen. Wir können nicht einfach alles liegen lassen, was doch eigentlich immer gut war. Wir sind auch an die Kirche herangetreten und an die Leute, die auf die Straße gegangen sind. Einige kannte man ja hinterher. Gemeinsam gründeten wir dann einen Bürgerrat, mit ungefähr 15 Personen, darunter ehemalige Genossen, aber auch viele aus der CDU und SPD. Der Rat war offen für alle, die mitmachen wollten. Das besondere dieses Bürgerrates war, dass Firmen zu uns kamen und bei uns ihre Pläne vorstellten, ohne dass sie jemand dazu gezwungen hätte. Später entstanden in Rostock weitere Bürgerräte, da waren wir hier Vorreiter. Aus der Zeit kenne ich auch Pastor Schnauer. Der hat mir auch bei Aktionen für das Groß Kleiner Dorf geholfen. Die Leute dort wollten die erst nicht. Da hat er von der Kanzel gepredigt und zwei Wochen später haben alle unterschrieben. Insofern war ich wohl eine wichtige Person hier in Groß Klein, obwohl ich kein Amt innehatte – ich war nicht Vorsitzender des Bürgerrates. Ich wollte uns als Genossen nicht in den Vordergrund stellen. Das war ja eine Zeit, wo jeder wollte. Das war so richtig demokratisch. Später bin ich dann in die Bürgerschaft gewählt worden – die ersten vier Jahre waren besonders spannend und echt etwas Neues. Aus den Bürgerräten sind dann die Ortsbeiräte entstanden. Eigentlich sollten sie Bürgerräte heißen, aber damit konnten wir uns nicht durchsetzen. Gut, dann eben Ortsbeirat.
Seit 1985 haben wir versucht, einen Sportplatz zu bekommen. Zunächst hieß es: Nein, der kommt nach Toitenwinkel, da sind mehr Kinder. Das haben wir auch eingesehen. Später haben wir versucht, das über den Ortsbeirat zu organisieren, das hat geklappt, auch wenn es mehr als zehn Jahre gedauert hat. Eigentlich sollte der Sportplatz dort sein, wo jetzt das Biotop ist. Das ging dann nach der Wende natürlich nicht mehr, also planten wir ihn auf dem Grundstück daneben. Das Grundstück gehörte der Stadt und zum Teil einer Erbengemeinschaft, der wir das abkaufen wollten. Die haben aber gebockt. Deswegen ist der etwas zu klein geworden. Aber ich bin froh, dass der da ist.
Als das dann in Lichtenhagen 1992 die Pogrome stattfanden – das war ja schlimm. Da habe ich hier im Jugendclub ein Erlebnis gehabt: Da kam das ZDF und wollte Jugendliche animieren, Hitlergrüße zu machen. 50 Mark sollte jeder dafür bekommen. Da habe ich gestaunt, dass das keiner gemacht hat. Wir haben das ZDF dann rausschmeißen müssen. Das fand ich wirklich gut von den Kindern.
Einer der Jugendclubs hier im Stadtteil, der lag da wo jetzt der Netto steht, war damals total rechts unterwandert. Der wurde eingestampft, das hätten wir anders nicht in den Griff zu bekommen. Wir haben versucht, genug Anlaufstellen für Jugendliche in Groß Klein zu schaffen, aber hier gab es keine Alternative. Damit wären wir nicht klargekommen.
Früher war da, wo jetzt die IGA ist, ein wilder Park. Dort hat man den ganzen Bauschrott von Schmarl und zum Teil auch von Groß Klein einfach reingeschüttet und verwildern lassen. Dann hat man da hinten das Traditions-Schiff hingestellt und drumherum wucherten Bäume, Büsche, das wuchs wirklich gut. Der Zustand des Geländes war der Grund für die Entscheidung, dass dort die IGA hinkam. Das Traditionsschiff war zu DDR-Zeiten immer voll, im Winter war da z.B. eine Sporthalle drin. Das ging, ohne dass dort ein Bus hinfuhr.
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[1] Die Nationale Front der Deutschen Demokratischen Republik (bis 1973 Nationale Front des demokratischen Deutschlands) war ein Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR. Durch die Nationale Front sollten dem offiziellen Anspruch nach alle gesellschaftlichen Gruppen Einfluss auf gesellschaftspolitische Prozesse nehmen können. (Quelle: Wikipedia)
[2] Sero: Abkürzung für Sekundärrohstoff. Hier: Annahmestelle für (Alt-)-Glas
[3] Rostocker Gesellschaft für Stadtentwicklung, Bauherrin und zunächst Eigentümerin.