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Anja Stegmann, wohnte in den 1980er Jahren mal ein wenig in Groß Klein und leitet seit April 2006 die Stadtteilbibliothek im Börgerhus
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 28. Jun 2024

Ich kenne Groß Klein schon aus meiner Jugend ein wenig, denn ich habe als Jugendliche einige Zeit hier gelebt. Damals zog meine Familie aus Halle nach Rostock, weil mein Vater die Leitung des Düngemittelwerkes in Peez übernahm. Ich war allerdings nicht allzu oft hier, weil ich schon kurz darauf meine duale Ausbildung zum Bibliotheksfacharbeiter begann. Also verbrachte ich immer vier Wochen am Stück in Sondershausen, in der zentralen Berufsschule. Und dazwischen jeweils vier Wochen in Groß Klein, weil ich in der damaligen Willi-Bredel-Bibliothek, der heutigen Stadtbibliothek, arbeite. Erst später schloss ich noch ein Studium zur Bibliothekarin an. Damals entstand der Stadtteil Groß Klein gerade erst. Es war überall noch matschig, weil die Plattenwege fehlten. Am S-Bahnhof Lichtenhagen konnte man am Zustand der Schuhe erkennen, ob jemand aus Lichtenhagen oder Groß Klein kam: die Groß Kleiner waren die mit den schlammigen Schuhen. Es war ja in der DDR üblich, dass erst die Wohnungen fertiggestellt werden und die Infrastruktur dann danach.


Als ich dann 2006 zurückkam, war ich positiv überrascht, wie gut sich der Stadtteil entwickelte hatte. Ich begann damals nämlich, hier in der Stadtteilbibliothek zu arbeiten, die sich seit Dezember 2005 im „Börgerhus“ befindet. Als sie eröffnete, war ich noch in Dierkow in der Stadtteilbibliothek, wo ich über viele Jahre hinweg Jugendprojekte betreute. Dann stellte sich heraus, dass die Groß Kleiner Bibliothek in dieser Anfangszeit nicht gut lief. Viele Menschen hatten noch gar nicht mitbekommen, dass die Bibliothek aus dem Klenow Tor ins „Börgerhus“ umgezogen war. Deshalb gingen die Ausleihzahlen dramatisch nach unten. Also bat mich mein damaliger Chef, mich der Situation anzunehmen und ich wechselte innerhalb einer Woche meinen Arbeitsort. Ich begann dann sofort, die ersten Veranstaltungen zu organisieren. Dabei zeigte sich schnell, dass die Behauptung meiner Vorgängerin, die Schulen hätten kein Interesse an der Bibliothek, überhaupt nicht stimmte. Ich stellte mich auf verschiedenen Elternabenden an Schulen vor – und hatte innerhalb eines Monats mehr als sechzig Neuanmeldungen von Kindern. Das Interesse war also wirklich groß.


Auch das „Börgerhus“ selbst war damals noch nicht so gut besucht. Sogar das Mittagessen, das es hier von Anfang an gab, wurde noch wenig genutzt. Durch den Besuch der Bibliothek bekamen allmählich mehr und mehr Leute mit, was hier noch so angeboten wurde. Und umgekehrt kamen Leute zum Mittag her und bemerkten dabei die Bibliothek. Und allmählich fanden im „Börgerhus“ dann auch mehr und mehr Kurse statt – Sport, Malen und dergleichen. Viele der Teilnehmer sind auch Leser bei mir. Ich fühle mich hier wirklich sehr wohl und arbeite sehr gern hier. Sonst wäre ich wohl nicht so lange geblieben.


Heute kann ich sagen, dass alle Kinder, die seit 2006 in Groß Klein in die Kita oder zur Schule gegangen sind, irgendwann einmal hier in der Bibliothek waren. Und vielen von ihnen konnte ich tatsächlich beim Großwerden zusehen. An ein Mädchen erinnere ich mich besonders: Sie kam fast jeden Tag und brachte sogar ihre Hausschuhe mit, um es sich hier so richtig gemütlich zu machen. Später bewarb sie sich dann für ein Schülerpraktikum bei uns, weil sie sich hier von klein an so wohlgefühlt hatte. Ich denke wirklich, dass diese Bibliothek für Kinder und Jugendliche ein wichtiger Ort hier in Groß Klein ist. Vor allem die Hortkinder kamen und kommen so zahlreich, dass der Hort sie nur noch „gestaffelt“ zu uns schicken konnte. Jedes Kind bekommt eine Medaille, auf der ihre oder seine Bibliotheksbesuchszeit steht. Und die meisten dieser Kinder interessieren sich nicht nur für Computerspiele, sondern leihen dann auch Bücher aus.


Mit den Schulkindern machen wir in der ersten oder zweiten Klasse immer eine Einführung in die Bibliothek und helfen ihnen auch bei der Anmeldung. Aber wir machen auch thematische Veranstaltungen. Zu bestimmten Feiertagen oder Themen, die die Schulen sich wünschen. In den Ferien kommen Hortgruppen zu uns, auch aus den umliegenden Stadtteilen. Sehr beliebt bei den Erwachsenen, mehrheitlich den älteren unter ihnen, ist auch das Lesecafé, das ich 2006 ins Leben gerufen habe. Da kommen jedes Mal 30 bis 35 Leute. Anfangs habe ich da immer allein neue Bücher vorgestellt, die ich zum Lesen empfehle – inzwischen tun das auch andere Leute, die an der Veranstaltung teilnehmen. Es hat lange gedauert, bis sich die erste traute, inzwischen sind weitere hinzugekommen. Das ist eine Bereicherung, weil ja verschiedene Menschen immer auch unterschiedliche Bücher auswählen und auf ganz eigene Art vorstellen. Inzwischen hat das Lesecafé einen festen Kreis von Teilnehmern, die sich auch untereinander gut kennen.


Donnerstags kommen vor allem die Familien, die dann Bücher und Spiele fürs Wochenende ausleihen wollen. Die kommen manchmal mit großen Tüten – und die sind dann voll, wenn sie wieder gehen. An diesem Tag erreichen wir auch mal die 30jährigen oder 40jährigen, die in der Regel keine Zeit haben, unsere Veranstaltungen zu besuchen.


2012 ist mein Vater aus seinem Dorf nach Groß Klein zurückgezogen, weil er für das Landleben nicht mehr mobil genug ist. Hier im Stadtteil kommt er mit seinem Rollator noch fast überall hin. Wenn ich hier bin, sind wir oft im IGA-Park, auch zu den Veranstaltungen im Sommer.


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