
Meine Eltern sind 1993 nach Groß Klein gezogen, ich war damals sechs Jahre alt. Vorher wohnten wir in Warnemünde, bis unser Haus in Wohneigentum umgewandelt wurde. Wir wollten in der Nähe der Ostsee bleiben, da war Groß Klein ideal – einmal Ostseekind, immer Ostseekind, das galt schon damals für mich und so ist es bis heute. Die erste Zeit an unserem neuen Wohnort war sehr schön. Ich weiß noch, dass ich damals total begeistert davon war, wie lebendig sich hier alles anfühlte. Es gab viele Kitas, Schulen und viele Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche – teilweise sogar kostenlos. Ich erinnere mich an mehrere Grundschulen, Realschulen und Gesamtschulen. Sogar ein Gymnasium hatten wir damals, am Dänenberg. Dann wurde das Klenow Tor eröffnet. Auch das war damals ein Highlight – ein Ort mit vielen verschiedenen Geschäften, einer Post und vielem mehr. Ich kannte hier damals eine ganze Menge von Orten, an denen wir uns trafen und wohlfühlten. Als Kind war ich besonders gern auf einigen der Spielplätze, aber auch in Groß Klein Dorf. Als Jugendliche mochte ich dann das Fun im Lütten Klein, aber auch den Jugendclub in der Nähe vom Netto, den Bolzer und einige andere Orte. Ich erinnere mich auch noch gern an den Pavillon – dort konnten wir zusammensitzen, manchmal sogar grillen. Oder wir haben unten in unserer Waschküche gesessen. Dort haben wir ein paar Möbel reingestellt und es uns gemütlich gemacht. Das war eine tolle, freie Zeit: Freunde rausklingeln und gemeinsam losziehen. Wir konnten unbeschwert jung sein, auch weil wir erwünscht waren, nicht störten. Heute sind die Kinder und Jugendlichen ja schnell allen zu laut, sie werden überall weggescheucht.
Meine Kindheit hier im Stadtteil war eine echt tolle Zeit. Ich bin sehr froh, dass ich das alles noch erleben durfte, auch weil jetzt alles so anders geworden ist. Die Kinder sind viel mehr auf sich allein gestellt. Hier im Stadtteil gibt es kaum noch Freizeitangebote. Möchte man heute beispielsweise Fußball oder Basketball spielen, muss man in andere Stadtteile fahren – und auch das nötige Kleingeld haben. Früher waren wir hier in den Kursen alle zusammen. Und gingen ja auch alle in die gleiche Schule, zuerst in die Grundschule, danach sind wir alle gemeinsam in die Realschule gewechselt. Außer drei Mädels, die aus Schmarl kamen, wohnten alle aus meiner Klasse hier im Stadtteil, wir waren also auch am Nachmittag zusammen. Jetzt werden die Kinder auf andere Schulen geschickt, wenn die Eltern das möglich machen können. Da trennen sich die Wege – und das macht ja auch was mit den Freundschaften.
Und auch sonst hat sich die Situation im Stadtteil nicht zum Guten entwickelt. Irgendwann so um 2010 herum hat das begonnen, als hier die Kitas und Schulen abgerissen wurden, weil die Kinder fehlten. Dann kamen viel Familien aus anderen Ländern und die Zahl der Kinder stieg wieder. Inzwischen ist der Stadtteil sehr multikulturell, das finde ich wirklich schön. Was aber auch gesunken ist und immer noch geringer wird, ist das Sicherheitsgefühl, vor allem abends und nachts. Früher bin ich hier bis spät in die Nacht sorglos unterwegs gewesen, hatte das Gefühl, bei jedem klingeln zu können, wenn mal etwas ist. Das ist heute nicht mehr so, die Leute leben mehr für sich, sind weniger im Austausch miteinander, das Sozialverhalten lässt absolut nach. Früher war das hier ein Geben und Nehmen, jeder passte auf den anderen auf. Man kannte sich im Haus, die Nachbarn haben sich gegenseitig besucht - die Eltern haben was zusammen getrunken, die Kinder haben gespielt. Heute fühlt sich das Ganze mehr wie eine Ellenbogengesellschaft an, in der andere Menschen eher stören. Wenn man sich nicht mehr so gut kennt, ist der andere eben schneller ein Ärgernis.
Trotzdem wollte ich nicht weg hier, auch als Erwachsene war klar, dass ich hier wohnen bleiben möchte. Ich habe hier immer hier gearbeitet, meine Kinder sind hier zur Schule gegangen. Zwischendurch war ich mal ein Jahr in Brandenburg, aber das fühlte sich einfach nicht richtig an – zuhause ist zuhause und das ist für mich Groß Klein. Viele Menschen, mit denen ich großgeworden bin, wohnen bis heute hier.
Als Familie sind wir jetzt viel im IGA-Park, auf den Spielplätzen weniger, weil die einfach nicht so schön sind. Auf den Bolzplatz gehen eher die Jugendlichen, da trauen sich die Kleinen dann nicht hin. Für die Jugendlichen gibt es einen Jugendclub, das 224, aber der spricht eben nicht die Masse an – da trifft sich nur ein kleiner Teil. Und auch für Erwachsene fehlt es an Orten, wo man mal gemütlich sitzen und schnattern kann.
Früher war ja auch das Klenow Tor eine wichtige Anlaufstelle für den ganzen Stadtteil. Mit richtig vielen Einkaufsmöglichkeiten und Ärzten, einer Eisdiele. Ein echter Wohlfühlort. – da waren wir sogar Ostern dort, zum Feiern. Heute ist es dort trostlos und schäbig. Ich gehe nur noch hin, wenn wir mal einen Döner essen wollen, etwas zum Basteln brauchen oder einen Kinderarzttermin haben. Die meisten Menschen gehen nur noch durch. Ich würde mir wünschen, dass sich das wieder ändert. Aber am meisten wünsche ich mir, dass endlich mal was für die Kinder getan wird. Wenn man es anders kennt, fällt einem das besonders auf. Die Kinder und Jugendlichen in Groß Klein sind sich selbst überlassen. Und was macht man, wenn man nichts mit sich anzufangen weiß? - Unsinn. Und dann ist das Geschrei groß. Wir haben nicht so viel Mist gebaut, als ich in dem Alter war, weil wir andere Möglichkeiten hatten. Ich wünsche mir so, dass endlich wieder mehr Lebensfreude hierher kommt. Als Erwachsene findet man sich ab, sucht sich Alternativen. Aber welche Alternative haben denn die Kinder? Wo können sie hin, wo werden sie akzeptiert, wo lernen sie Neues kennen und erleben ein positives Miteinander? Jetzt zünden sie die Autos an, randalieren – weil sie keine Perspektive haben. Selbst die Spielplätze sind nur für Kinder im Grundschulalter. Wohin gehen die Kleineren und Größeren? Wo können die sich entfalten, ihre Motorik stärken? Wo die Mütter Kaffee trinken, wenn sie mit den Kindern draußen sind? Dass sich das wieder ändert, ist wirklich mein größter Wunsch…
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