
Geboren wurde ich Kühlungsborn. Mein erstes halbes Schuljahr verbrachte ich noch in Satow, aber in den Winterferien der ersten Klasse zog ich mit meiner Mutter nach Bützow. Meine Mutter hatte einen neuen Lebenspartner gefunden, der von hier stammte. Unsere erste Wohnung befand sich am Pferdemarkt. Hier ging ich dann auch in die Schule, gehörte also zu den Kindern, die man damals die „Stadtscheißer“ nannte. An meine Unterstufenzeit kann ich mich nur noch vage erinnern, aber an die späteren Jahre mit Herrn Schmidtbauer erinnere ich mich gut. Als herzlich aber streng könnte man ihn beschreiben. In den Pausen haben wir uns immer vom Schulhof geschlichen, um heimlich an der Ecke neben Bäcker Frenz zu rauchen. Wenn wir wiederkamen war oft das Schultor zu und wir bekamen Ärger, mit Dr. Schmidtbauer persönlich. Später war das Schultor dann von Beginn an abgeschlossen, da kamen wir gar nicht mehr runter vom Gelände.
Besonders im Gedächtnis noch der Kurs für Zivilverteidigung, den man zu DDR-Zeiten im Unterricht machen musste. Damals mussten wir in der Gruppe, mit allen Mädchen der Klasse, nach unten in den Keller der Schule, um dort schießen zu üben – und auch das Aufsetzen von Gasmasken. Mit den Masken mussten wir dann durch einen Tunnel kriechen, der sich unter dem Schulneubau befand. Der Tunnel endete an einer Luke mitten auf dem Schulhof, da mussten wir dann wieder nach oben klettern. Das fanden wir immer alles ziemlich eklig.
1987 schloss ich die zehnte Klasse ab. Mein Stiefvater fuhr damals Transporte für die DDR-Handelsorganisation HO, oft Marmelade von RoKoMa, der Rostocker Marmeladenfabrik. Durch ihn entstand die Idee, dass ich Verkäuferin werde – und so kam es dann auch. Es gab zwar viele Bewerber, aber durch seine Beziehungen bekam ich die Lehrstelle und war darüber sehr froh. Ich musste mich einmal im HO-Büro vorstellen und dann war die Sache entschieden. Das Unterschreiben des Lehrvertrags war dann schon eine andere Nummer. Das war eine richtig feierliche Veranstaltung in Güstrow, im großen Festsaal der Fachhochschule, mit schicker Kleidung. Dort gab es dann eine sehr festliche Rede und anschließend mussten wir einzeln auf die Bühne, wo man uns unseren Lehrvertrag überreichte. Dort kamen alle Lehrlinge aus dem Kreis zusammen, die damals Verkäuferin werden sollten – aus den Kaufhallen, aber auch aus den anderen Läden. Damals gab es ja in jedem Dorf ein Konsum, also waren das richtig viele.
Mein Ausbildungsbetrieb war der HO-Laden, der später der Burmeister-Spar wurde und heute ein Asialaden ist. Damals war das eine typische DDR-Kaufhalle, mit einem Softeisstand und ein Broilerstand daneben. In Bützow gab es damals insgesamt vier Kaufhallen: in der Kühlungsborner Straße, am Forsthof, oben am Bahnhof und die, in der ich arbeitete. Verwaltet wurden sie alle in der Konsumverwaltung. Ich persönlich hatte mit der Verwaltung nichts zu tun, aber ich erinnere mich, dass der Hauptkassierer unserer Kaufhalle immer abends nach Dienstschluss das Geld dort vorbeibringen musste. Unser Team in der Kaufhalle war damals ziemlich groß – wir waren allein schon vier Lehrlinge und insgesamt mindestens fünfzehn Leute. Montags wurden nur Milch, Butter und Brötchen verkauft, außer Haus, von einem Tisch aus, den wir an die Eingangstür stellen, immer von sieben bis elf Uhr. Der Grund war, dass am Montag alle Waren geliefert wurden und von uns eingeräumt werden mussten. An den anderen Tagen, von Dienstag bis Freitag, öffneten wir um 8 Uhr und schlossen um 18 Uhr. Am Samstag war die Kaufhalle bis mittags um 12 Uhr offen. Ich arbeitete in meiner Lehrzeit in allen Abteilungen nacheinander, am Bäckerstand, am Fleischtresen, beim Gemüse – jeweils ein halbes Jahr. Bei mir lief die Ausbildung dann allerdings etwas anders ab als geplant, weil ich schon am Beginn schwanger war. Das war damals kein Drama und auch nicht unüblich. Ich lernte also von September 1987 bis Februar 1988 und ging dann erstmal in eine Mutterschutzzeit, weil im April unsere Tochter geboren wurde. Und ein Jahr später, im Februar 1989, setzte ich die Ausbildung dann genau an dieser Stelle fort. Das hatte den Vorteil, dass ich nicht mehr im Fischgeschäft arbeiten musste, das auch zur HO gehörte. Davor hatte ich mich am meisten gegruselt. Dort gab es lebende Fische, die vor Ort getötet und dann in Zeitungspapier eingewickelt und mitgegeben wurden. Ich erinnere mich noch gut an die Frau, die dort arbeitete: sie sah selbst ein bisschen aus wie ein Karpfen.
Als ich wieder arbeitete, ging unsere Tochter in die Krippe am Rostocker Tor, ganz in der Nähe unserer Wohnung. Da ich schon morgens um 7 Uhr in der Berufsschule sein musste, brachte mein Mann sie immer in die Krippe, auf dem Weg zum Bahnhof, weil er jeden Morgen mit dem Zug nach Seelow fahren musste. Das funktionierte alles ziemlich gut und wir waren mit der Krippe zufrieden.
Was die gelieferten Waren anging, haben wir beim Auspacken durchaus auch ein bisschen vorsortiert: Jeder Mitarbeiter hatte eine Kiste mit ihrem oder seinem Namen drauf, in der landeten die Sachen, die man eher selten bekam. Was genau, wussten wir selbst immer erst beim Auspacken. Oft standen die Leute da vor der Tür schon an, ohne zu wissen, was genau es geben würde – irgendetwas Besonderes würde schon dabei sein. Besonders beliebt waren beispielsweise die Schaumküsse, die schon damals aus Grabow kamen: Die wurden einzeln verkauft und man bekam höchstens zwölf Stück pro Person, in Tüten, weil wir sie ja in den Großpackungen geliefert bekamen. Bananen und Orangen waren auch sehr beliebt – und dann später der Westjoghurt, der nicht in Flaschen sondern in Plastebechern geliefert wurde. Das muss in der Wendezeit gewesen sein, die Leute haben sich fast gehauen, um davon etwas abzubekommen. Damals war traurig zu sehen, wie die Ostprodukte dann in den Regalen liegenblieben – da musste es dann das gute Zeug aus dem Westen sein.
Die Wende selbst haben wir gar nicht so richtig mitbekommen. Ich war damals gerade mit meiner kleinen kranken Tochter zuhause und verstand erst so richtig, was da geschehen war, als ich am Montag darauf wieder zur Arbeit kam. Sorgen machte ich mir keine: Ich war jung und davon überzeugt, dass sich alles irgendwie finden würde. Und im Grunde war es auch erstmal so. Wir wurden dann von Spar statt von der HO beliefert und Herr Burmeister aus der ehemaligen HO-Verwaltung übernahm die Filiale, die ja privatisiert werden musste, weil es keinen staatlichen Betreiber mehr gab. Er richtete alles neu ein, besorgte ein neues Kassensystem und übernahm alle Mitarbeiter. Und wir blieben alle dort, für mich war das gar keine Frage. Das Ganze funktionierte sehr lange sehr gut. Ein paar Mitarbeiter wechselten Mitte der 1990er zu famila, andere gingen in Rente, aber sonst waren wir ein stabiles Team. Es lief nicht überall so glatt: Die Kaufhalle in der Kühlungsborner Straße wurde nach der Wende geschlossen, weil sich dafür kein Käufer fand, die Kaufhalle von Karl Mottmann schon bald darauf ebenfalls. Der Inhaber übernahm dann den kleinen Laden am Andreassteig. Aus der vierten Kaufhalle wurde dann ein EDEKA.
Ich selbst arbeitete noch bis 2006 in dem SPAR, dann wurde dort mehr und mehr eingespart und ich dann schließlich auch gekündigt. Ich war nicht besonders überrascht – man konnte schon eine ganze Weile spüren, dass es nicht mehr gut lief. Ich musste dann beim Arbeitsamt erstmal einen Computerlehrgang anfangen, fand aber schnell eine neue Arbeitsstelle bei Fleischer Dankert. Das war eine schöne Arbeit. 2016 wechselte ich dann zu Holz, weil der Fleischer in die Insolvenz ging. Ich wollte nicht in so einem großen Supermarkt arbeiten, ich mag es, wenn ein Laden eher familiär ist.
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