
Ich kam in Bützow, im Ziegelhofweg 13, auf die Welt, in dem Haus, das von meinem Großvater gebaut wurde und bis heute meiner Familie gehört. Inzwischen wohnt meine Nichte dort. Meine Mutter ist Bützowerin, mein Vater kam aus Szczecin.
Meine Lehre machte ich bei den Bützower Möbelwerken, in denen damals die Anbauwände der „Bützow“-Serien gebaut wurden. Es war damals, Ende der 1950er Jahre, gar nicht so leicht, eine Lehrstelle zu finden. Da half es, dass meine Mutter dort in der Produktion arbeitete und ich eben ein Arbeiterkind war. Ich wurde dort dann drei Jahre lang zum Industriekaufmann ausgebildet, als einziger Lehrling in einem Büro mit acht Mitarbeitern. Zum Berechnen der Löhne fuhren wir immer nach Güstrow in die Pädagogische Hochschule, dort stand eine große Rechenmaschine. Hatten wir die Berechnungen von dort erhalten, setzten wir uns damit in den Möbelwerken oben an den großen runden Tisch, um das Geld in die Lohntüten zu füllen. Einer zählte, ein zweiter zählte nach, bis der Gesamtbetrag dann verteilt war, ohne dass etwas fehlte oder übrigblieb. Das Geld holte ich vorher in einem Geldbeutel von der Bank ab. Einmal ging ich auf dem Rückweg noch kurz in den Schuhladen von Frau Paul, um mir ein paar neue Schuhe auszusuchen. Dort vergaß ich dann den Beutel mit dem Geld unter dem Anprobestuhl. Als ich das bemerkte, erschrak ich mich wirklich sehr. Aber ich hatte Glück – der Beutel stand da noch, als ich zurückkam.
Damals gab es von Bützow aus einen Bus, der nach Rostock zum Theater fuhr. Ich als Lehrling war dafür zuständig, die dreißig Theaterkarten zu verteilen – so viele Plätze hatte der Bus und er war immer voll. Das hat mir immer viel Spaß gemacht und brachte Abwechslung.
Zu den Möbelwerken gehörten damals auch das Sägewerk am Stadtrand und die Innenkunst in der Innenstadt. Bei Innenkunst wurden Einzelanfertigungen entgegengenommen, für die Rostocker Professoren. Zwei Frauen nahmen die Wünsche der Kunden auf, ein technischer Zeichner machte dann die Zeichnungen, auf deren Grundlage gebaut wurde. Anfangs wurden dort sogar noch Polstermöbel hergestellt, in der Polsterei unter dem Dach, die man über eine Hühnerleiter erreichen konnte. Die Sachen, die bei Innenkunst entstanden sind, waren schon damals teuer und werden bis heute zu hohen Preisen gehandelt. Bevor die Innenkunst von der DDR betrieben wurde, hieß das Geschäft Kröplin.
Als ich meinen Abschluss bei den Möbelwerken gemacht hatte, konnte ich dort nicht bleiben, aber damals bekam man ja dann trotzdem sicher eine Stelle. Ich arbeitete dann bei der Konsumverwaltung – mein Vater war damals in der Kaderabteilung beim Konsum und vermittelte mir den Job. Dort saß ich mit vier Leuten im Vorzimmer und war für Planung und Statistik zuständig, verwaltete also die Umsätze der Verkaufsstellen. Außerdem musste ich in die Verkaufsstellen in den Dörfern fahren, um dort Kontrollen durchzuführen, „auf Bruch und Schwund“ wie es damals hieß. Ich prüfte also, welche Waren kaputtgegangen oder verdorben waren. Und all das mit dem Bus. Deshalb saß ich dann oft lange an irgendwelchen Dorfbushaltestellen und wartete auf den nächsten Bus, der zurück nach Bützow fuhr.
Die Verteilung der Lebensmittel lief über Anträge der einzelnen Verkaufsstellen: Die Verkaufsstellenleiter schätzten ab, was gebraucht wurde, auf der Basis ihrer Erfahrungen. Anschreiben lassen durfte man damals noch, bis zum Ende der Woche, wenn die nächste Lohntüte kam. Da war genug Vertrauen da.
Später wechselte ich vom Konsum ins Gesundheitswesen. Nun arbeitete ich in der Baracke vor dem Krankenhaus. Da war ich viele Jahre, die Arbeit machte mir Spaß. Aber irgendwann dachte ich: Das kann es noch nicht gewesen sein. Ich bewarb mich in Potsdam zum Ökonomiestudium. Nun musste ich an zwei Tagen pro Woche nach Potsdam fahren, also sehr früh aufstehen, weil ich mit dem Zug anreisen und schon um 9 Uhr dort sein musste. Am zweiten Tag ging es dann abends zurück, da war ich dann nachts um zwei zuhause. Einmal kam ich deshalb zu spät zur Arbeit, weil ich verschlafen hatte. Aber mein Chef nahm mich in Schutz, er verstand, was das für eine Kraftanstrengung war. Trotzdem hat mir das Studium sehr gefallen – und Potsdam auch, eine wirklich schöne Stadt.
Ziel des Studiums war auch, eine Planstelle zu bekommen, die mit einem höheren Gehalt verbunden war. Hundert Mark mehr waren zu DDR-Zeiten eine Menge Geld. Also wechselte ich Anfang der 1980er Jahre, nach dem Ende des Studiums, zurück zu den Möbelwerken. Und obwohl ich Jahre weg gewesen da, erkannten mich viele Mitarbeiter wieder. Ich arbeitete dort wieder in der Planung. Das war und blieb einfach mein Metier – mit Zahlen habe ich mich immer wohlgefühlt. Ich war jetzt für die Überwachung der Produktionspläne zuständig. Dass ich später sogar Direktorin für Ökonomie werden würde, war damals noch nicht absehbar. Werksleiter gab es damals ja drei: Je einen für die Serienproduktion, die Innenkunst und das Sägewerk. Als der alte Werkleiter für die Serienproduktion ging, übernahm ich die Steller erstmal provisorisch – und später dann dauerhaft.
Damals arbeiteten mehr als 400 Leute in den Möbelwerken. Und es gab einen regelrechten Wettbewerb der Schichten untereinander. Jede Schicht wollte die bessere sein. In den Werken wurden mehrere Modelle hergestellt: Fünf verschiedene Modelle der Linie Bützow gab es im Laufe der Zeit. Die wurden alle von der Innenkunst Bützow entworfen. Die Herstellung war teilweise wirklich harte Arbeit, vor allem das Hantieren mit den großen Platten. Das wurde deshalb auch am besten bezahlt. Die Möbel wurden aus mit Furnier beklebten Platten hergestellt – dafür gab es eine riesige Furnierpresse, eine Leimauftragsmaschine. Die Platten bestanden aus einer Art Pressholz. Sie wurden aus Ribnitz angeliefert. Ein Teil der Produktion ging dann auch ins sogenannte nichtsozialistische Ausland, dafür bekam der Betrieb dann Bonuszahlungen, weil er zur Devisenbeschaffung beitrug. In manchen Jahren produzierten wir nur für den Westen. Als Ostdeutscher brauchte man gute Beziehungen, um von den Bützower Möbeln etwas abzubekommen – am besten einen guten Draht zur Betriebsleitung oder zur Kreisleitung.
Ich fuhr auch mehrfach zur Leipziger Messe, wo wir unsere aktuelle Produktion am Stand „VEB Möbelwerke Ernst Mundt“ vorstellten. Dort trafen wir auch auf Menschen aus den nichtsozialistischen Ländern (NSW). Für diese Begegnungen waren wir extra geschult worden. Wir waren da durchaus selbstbewusst, stolz auf das, was wir geschaffen hatten. Es lief gut, wir hatten keinerlei Absatzprobleme. Auf der Messe nahmen wir die Vertragswünsche auf und gaben das dann an übergeordnete Abteilungen weiter.
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