Bützow > Geschichten > Beitragsdetails
Ilse Mildner, Jahrgang 1933, wurde in Zernin geboren und war ihr ganzes Berufsleben lang im Bützower Einzelhandel tätig
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 06. Dec 2024

1948 ging ich, als damals Vierzehnjährige, im Kaufhaus Ramelow in die Lehre. Das Kaufhaus war nach seinem damaligen Inhaber benannt, Gustav Ramelow. Kennengelernt habe ich allerdings nur seine Frau, die uns während meiner Lehrzeit einmal im Kaufhaus besuchte. Die Familie hatte ja mehrere Filialen und lebte also selbst nicht in Bützow. Der Chef des Bützower Kaufhauses war Herr Lange. Sie kam also zu uns, ganz schicke Dame, toll gekleidet. Ich wischte gerade Staub und wurde ihr nur kurz als „das ist unser jüngster Stift“ vorgestellt. Sie grüßte mich nicht mal, sondern ging einfach weiter. Das hat mich schon gekränkt, weil ich es als herablassend empfand.

Aber grundsätzlich war ich sehr froh über diese Lehrstelle, weil es damals wirklich schwierig war, eine zu bekommen. Diese hier hatte mir das Arbeitsamt vermittelt. Ich hätte auch bei Hollien arbeiten können, aber da war es mir zu duster. Im ersten Lehrjahr bekam ich fünf Mark pro Monat, immer am Monatsende bar ausgezahlt.

Das Kaufhaus sah natürlich damals noch ganz anders aus – der Laden ging nur bis hinter die Treppe im Erdgeschoss und war dort durch einen schweren Vorhang vom Rest des Gebäudes abgetrennt. Rechts neben dem Eingang befand sich die Kurzwarenabteilung, da bekam man also Knöpfe, Schnallen, Nähgarn, Portemonnaies, Schnittmuster und dergleichen mehr. Damals war das eine wichtige Abteilung, weil alle Leute noch viel selbst nähten. Für die Verkäuferinnen war vor allem der Verkauf von Knöpfen eine echte Herausforderung, weil deren Preise immer im Dutzend angegeben waren. Kam dann die Schneiderin und brauchte acht Knöpfe, musste man das genau ausrechnen und dann erst in die Kasse eintragen. Alles was wir ausrechneten wurde von Fräulein Gläser nochmal nachgerechnet. Dieses Nachrechnen war eine ihrer Aufgaben im Kaufhaus. Wenn man sich verrechnet hatte, war das immer ziemlich furchtbar und gab echt Ärger. Auf der anderen Seite des Kaufhauses gab es das, was man sonst noch so hatte - 1948 war das ja nicht viel.

Als das Kaufhaus nach der Verstaatlichung vergrößert wurde, verschwand der Vorhang und ein großer Verkaufsraum mit Abteilungen entstand. Gleich wenn man durch die große Tür kam, war rechts die Kurzwarenabteilung, die Wichtigste. In Bützow gab es viele Schneider und Schneiderinnen und Schneiderkurse. Es wurde sehr viel genäht und zwar sehr gut, möchte ich betonen, weil es damals einen anderen Ärmelschnitt gab, die Kleidung saß besser. Und war natürlich teurer, denn die Anfertigung dauerte länger. Außerdem gab es im Kaufhaus nun noch folgende Abteilungen:

1. Die Abteilung „Meterware“, in der Stoffe jeglicher Art verkauft wurden: Anzug-, Mantel- und Kleiderstoffe, aufgerollt auf dicke Papierrollen. Dort arbeitete Herr Düwe, der Herr der Stoffe. Beim Verkauf gab man sich viel Mühe. Bei Unentschlossenen wurde der Ballen gekonnt abgerollt und dem Kunden über die Schulter gelegt, damit er den Stoff im Spiegel sehen konnte.

2. Die Gardinenabteilung: Damals war sie ganz wichtig – ein schöner Blickfang von innen und außen. Das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen, diese Wichtigkeit!

In der 1. Wallstraße wohnte damals Frau Wolff. Sie war Bestatterin oder eher Leicheneinkleiderin. Sie wurde ganz diskret bedient. Sie brauchte auch Bezüge für Kopfkissen aus festem Papier, außerdem ein Hemd mit Ärmeln und Kragen und eine Decke. Kopfkissen und Decke waren kunstvoll mit weißem Seidengarn bestickt. So konnten die Verstorbenen würdig verabschiedet werden.

Eine Treppe höher lag links die Wohnung der Familie des Chefs. In der Mitte war ein Lichthof mit einem Geländer davor. An der Fensterseite saßen Näherinnen, sogar eine Schneidermeisterin war dabei. Ganz oben war eine Federreinigung. Federvieh gab es reichlich auf den Dörfern. Alte Federn wurden gereinigt und neue kamen dazu. Oder es gab ein neues Inlett, dann war alles neu. Einmal gab es ganz große Aufregung: Herr Wiechmann, Herr der Federn, hatte vergessen eine Klappe zu schließen – und die Stadt war befedert. Da gab’s auf verschiedenen Ebenen Ärger.

Als Anfang der 1950er Jahre das erste Weltjugendtreffen in Berlin stattfand, gab es im Kaufhaus die erste FDJ-Kleidung. Die war für das Weltjugendtreffen gedacht. Ich bekam Lust, bei dem Treffen dabei zu sein. Das Kaufhaus erlaubte es und ich wurde bei den Kindergärtnerinnen eingeteilt. Die haben dann ein Auge auf mich gehabt, ich war die Jüngste in der Gruppe.

Da Kaufhaus hieß nun Mecklenburgisches Kaufhaus. Da kam dann eines Tages ein junger Mann, der mit „dem Lehrling“ sprechen wollte, also mit mir. Er wollte dann wissen, welche Arbeiten mir übertragen wurden – und das waren auch tatsächlich eine ganze Menge, aber eben kein Verkauf. Im ersten Jahr habe ich nur saubergemacht, Ware sortiert und mit im Keller gelagerten Paraffin Lichter gegossen. Dazu musste ich mit einem heißen Topf auf dem Ofen das Paraffin schmelzen und umfüllen, das spritzte jedes Mal und verdarb meine Kleider. Meine Mutter war darüber schon echt sauer. Aber wir brauchten diese Lichter, weil es so oft Stromsperren gab - aber keine Kerzen zu kaufen. Glücklicherweise wussten wir ja immer, wann der Strom abgeschaltet wurde – das war jeden Tag zu einer bestimmten Zeit, in ganz Mecklenburg. Der junge Mann hörte sich meine Schilderungen an und versprach, dass sich die Situation nun ändern würde: Der Lehrling musste mit in die normale Arbeit eingebunden werden und nicht nur Hilfsarbeiten machen. Und so kam es dann auch. Damals sind aber alle so mit den Lehrlingen umgegangen, vor allem im ersten Lehrjahr. Und ein Abbruch der Lehre war damals undenkbar. Allein eine Lehrstelle zu haben, war ja schon ein großes Glück. Dann bekam man auch Gehalt.

Während der Ausbildung musste ich ja auch regelmäßig zur Kaufmannsschule. Die befand sich in der ersten Zeit in Kronskamp bei Brühl, mitten im Wald. Wir hatten dort sechs Wochen am Stück Schule und durften in dieser Zeit auch nicht nach Hause fahren. Später besuchte ich dann die Kaufmannsschule in Güstrow. An den Schulen lernten wir alles, was man zum Verkaufen brauchte: Buchführung, Abrechnung, aber auch Verkaufsgespräche. Meinen Abschluss habe ich dann mit der Note 2 gemacht. Die praktische Prüfung, die ich dafür ablegen musste, musste ich nicht an meinem Lehrort, sondern im Kaufhaus in Güstrow ablegen.

Als das Kaufhaus nach der Verstaatlichung vergrößert wurde, der Vorhang im hinteren Bereich verschwand, kamen neue Produkte hinzu – unter anderem ein Gardinenlager. Ich selbst arbeitete dann in der Kinderabteilung. Am Beiseitelegen von Waren für bestimmte Kunden beteiligte ich mich nicht – mit einer Ausnahme: die Kinderkleidung für Kinder, die Übergrößen brauchten. Die war so schwer zu bekommen, dass ich eine Liste jener Kunden anlegte, denen ich dann Sachen reservierte. Damit bin ich aber auch ganz offen umgegangen, trotzdem bekam ich immer mal Ärger.

Am Mittwoch standen die Leute immer bei uns an, weil sie wussten, dass an diesem Tag die Westware kam. Davon gab es aber immer nur wenig, diese Zuteilungen waren sehr knapp. Aber da bekam dann immer der etwas, der in der Schlange vorne stand.

Kleine Sonderregelungen gab es etwa in Bezug auf die Jugendweihe: Da bekamen wir besondere, festliche Jugendweihekleidung und verkauften die auch nur an jene Familien, in denen ein Kind Jugendweihe hatte. Das haben wir aber auch so gesagt und erklärt.

Als wir dann in den Textilfabriken Kleidung kaufen konnten, gab es aber grundsätzlich schon genug davon. Damals entstand die Idee, die Kollektionen in Modenschauen zu präsentieren. Eine fand immer bei Landers statt, vor den älteren Herrschaften, die anderen auf den Dörfern. Beispielsweise beim Bäcker in Bernitt, der uns nach der Modenschau immer zu Kuchen und Kaffee einlud. Die Vorbereitung – also die Zusammenstellung der Sachen – übernahm die Konfektionsabteilung unseres Kaufhauses. Wie die Leute von unseren Auftritten erfuhren, weiß ich gar nicht mehr genau, aber die Veranstaltungen waren immer gut besucht. Es war ja nicht so viel los auf den Dörfern, da war das schon etwas Besonderes, wenn „das Kaufhaus kam“.

Mein Mann und ich lernten uns in meiner Ausbildungszeit kennen – beim Handballspiel. Meine Handballgruppe trainierte damals auf dem Sportplatz am Wall. Dort fand dann auch ein Wettkampf im Rahmen eines Sportfestes statt, bei dem wir gegen mehrere Mannschaften antraten. Mein späterer Mann sah sich das Spiel an – und hatte wohl da schon ein Auge auf mich geworfen. Am Abend nach dem Sportfest war dann ganz großer Tanz bei Landers. Dafür machte man sich richtig schick. Mein Kleid stammte von einer Schneiderin aus Zernin, einer älteren Dame, die hier Handwerk noch richtig gut verstand – und das war trotzdem bezahlbar. Man ging mit dem Stoff zu ihr und dann nähte sie. Bei diesem Tanzabend forderte mein späterer Mann mich dann zum ersten Mal auf. Und er war ein guter Tänzer, das gefiel mir. Also hoffte ich, ihn am nächsten Tag wiederzusehen. Und tatsächlich kam er dann öfter, zum Tanzen nach dem Sportlerball. Gewohnt habe ich ja damals noch in Zernin, ich fuhr jeden Tag mit dem Zug nach Bützow. Aber nach dem Tanz konnte ich immer bei meiner Tante hier in Bützow übernachten, also durfte es auch mal später werden.

Zum Tanz bei Landner war ich damals oft. Er begann immer um 20 Uhr, nicht so spät wie das heute üblich ist. Am Eingang des Veranstaltungsortes saß immer ein Mann, der im Krieg ein Bein verloren hatte. Er verkaufte dort die Karten und sorgte für Ordnung. Auf dem Ball spielte dann eine Kapelle, deren Mitglieder alle zur Familie Kranz gehörten. Ich ging immer mit meinen Freundinnen hin. Wir saßen dann immer alle zusammen und beobachteten genau, wo jemand aufstand, um eine Frau aufzufordern. Damals durfte man als Frau ja nicht tanzen, ohne von einem Mann aufgefordert zu werden. Bei Landers haben sich viele spätere Paare kennengelernt.

Die Eltern meines Mannes waren, wie meine auch, aus dem Sudetenland geflohen und dann nach Bützow gekommen. Mein Mann, 1926 geboren, musste in der Hitlerzeit an die Front. Nach dem Krieg war er dann drei Jahre in Gefangenschaft – mit Arbeit im Bergwerk und einer Typhuserkrankung. Das war eine schlimme Zeit, er hatte großes Glück, dass er sie überlebte. Als er ins Sudentenland zurückkehrte, fand er seine Eltern natürlich nicht mehr vor. Die Eltern hatten sich mit einer Suchanzeige für ihren Sohn beim Roten Kreuz gemeldet, das half am Ende, dass die Familie sich wiederfand. Vor seiner Armeezeit hatte er gerade seine Bäckerlehre abgeschlossen und wollte nun in Bützow auch wieder in seinem Beruf arbeiten. Aber zunächst war er bei der Forst beschäftigt, bis er dann eine Stelle bei der HO-Bäckerei in der Hauptstraße fand. Das hieß natürlich immer „mitten in der Nacht“ aufstehen. Sonntags, auch nachdem wir tanzen gegangen waren, musste er immer um zehn Uhr in die Bäckerei, um den Sauerteig anzusetzen, damit zum Montag Brot gebacken werden konnte. Weihnachten buk er dann immer Stollen für die ganze Familie. Und die war groß. Also lagen dann schon im späten Herbst riesige Mengen von Stollen bei uns oben auf dem Schrank. Auch Torten konnte er wunderbar backen – die Schwanentorte, die so aufwändig war, gab es immer, wenn unsere Kinder Geburtstag hatten.

Später arbeitete ich in der Drogerie in der Hauptstraße 40, als Schwangerschaftsvertretung für die Inhaberin. Sie hatte mich angesprochen, weil ich im gleichen Haus wohnte und ja vom Fach war. Ich hatte damals selbst schon zwei Kinder, also musste ich meine Tante Minna bitten, mir bei der Betreuung zu helfen. Leider war die Inhaberin aufgrund einer schweren Schwangerschaftsvergiftung nach der Geburt ihres Kindes nicht wieder arbeitsfähig und ich blieb länger als geplant in dem Laden.

Mein Mann hat immer wirklich wenig verdient. Als unser drittes Kind geboren wurde, konnte ich erstmal nicht mehr arbeiten gehen. Da kamen wir mit dem Geld nicht mehr aus. Ich hätte gern wieder gearbeitet, aber Tante Minna konnte ich nicht fragen – die war der Meinung, dass man Kinder, die man in die Welt gesetzt hatte, auch selber aufziehen sollte. Da habe ich mich nicht getraut zu widersprechen. Aber eigentlich kamen wir gut miteinander aus, Minna und ich. Wir haben nachher sogar zusammen mit ihr unser Haus gekauft. Am Ende war es dann auch gut und richtig so, dass ich mit den Kindern zuhause war. Sie waren zwar nicht in der Krippe oder Kita, aber ja trotzdem unter Kindern, denn es gab genug Kinder auf der Straße – und genug Auslauf in Richtung Wall, da brauchte man damals keine Angst haben. Falls doch mal ein Auto kam, ging man eben zur Seite, aber das passierte damals nicht allzu oft.

Ihr Kommentar

Logo DSEE