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Uschi Markus, Jahrgang 1934, lebt seit 1984 in Groß Klein
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 28. Jun 2024

Anfang der 1980er Jahren zogen mein Mann und ich von Schwerin nach Rostock, zunächst nach Lütten Klein. Im Januar 1984 sollten wir dann, unsere Tochter war inzwischen sechs Jahre alt, eine größere Wohnung in Groß Klein bekommen. Im November 1983 verließ mein Mann morgens das Haus, um zur Arbeit zu gehen, sagte meiner Tochter und mir noch, dass er uns sehr lieb hat – und fiel zwei Stunden später tot um, auf dem Schiff, auf dem er 25 Jahre lang gearbeitet hatte. Urplötzlich war ich alleine mit meiner Tochter. Und nur zu zweit sollten wir diese größere Wohnung nun auch nicht mehr haben, obwohl mein Mann doch schon Aufbaustunden geleistet und Genossenschaftsanteile eingezahlt hatte. Ich habe der Wohnungsgenossenschaft dann eine Bedenkzeit von einer Woche gegeben – würden sie ihre Entscheidung nicht überdenken, würde ich mit unserer Geschichte an die Öffentlichkeit gehen. In der ganzen DDR würde man dann erfahren, wie sie mit mir umgingen. Drei Tage später bekam ich den Bescheid, dass wir einziehen konnten.


Die Handwerker kamen und hatten nur diese Einheitstapete dabei – also gab ich ihnen meine eigene, damit sie die Zimmer so tapezierten, wie ich das gern wollte. Die Einschulung meiner Tochter hatten wir extra ein Jahr zurückgestellt, weil sie nicht in Lütten Klein eingeschult werden sollte, um dann nach der ersten Klasse gleich wieder zu wechseln. So kam sie dann mit sieben Jahren hier in Groß Klein in die Schule gleich gegenüber – da hätte sie im Nachthemd rübergehen können.


Ich habe dann hier im Stadtteil im Feierabendheim als Pflegekraft gearbeitet. Später war ich Mitglied im Gerechtigkeitsausschuss, im Elternbeirat war ich von der Grundschule bis zum Abitur. Und ich war im Kirchengemeinderat und habe dort alle vier Wochen den Kirchenkaffee mit den Rentnern aus dem Stadtteil veranstaltet. Ich habe Kuchen gebacken, die Rentner bedient und alles. Das war auch noch vor der Wende. In den Gottesdiensten habe ich auch geholfen, Texte vorlesen usw. Ich bin dann nachher aber ausgetreten, weil ich nicht damit einverstanden war, was die Pastoren hier zum Teil gemacht haben.


Nach Beginn meiner Rente war ich noch drei Jahre Gemeindeschwester auf der Station im Scharffenberg-Weg. Ich gehörte zu den wenigen dort mit einem Führerschein und haben deshalb die Außenbezirke betreut. Am Ende ging ich mit zweihundert Überstunden – für ein Dankeschön. Das hat dann auch gereicht. Durch diese Zeit bin ich hier im Stadtteil bis heute bekannt wie ein bunter Hund. Auch als ich schon lange nicht mehr arbeitete, kamen die Leute: „Ach, Schwester Ursel, können Sie schnell mal rüberkommen zu meinem Vater, der hat das und das.“ Klar bin ich dann dahin.


Und auch ich selbst kenne immer noch Hinz und Kunst. Wenn ich rausgehe, muss ich ein bis zwei Stunden zusätzlich rechnen, weil ich immer Leute treffe: „Auch, Schwester Ursel!“ oder „Unsere Uschi“ heißt es dann, wir quatschen, setzen uns meist auf die Bank oder gehen ins Börgerhus oder ins Klenow Tor und trinken ein Käffchen zusammen.


Vor der Wende haben wir sehr zusammengehalten. So haben hier z.B. gemeinsam das Blumenbeet vor dem Haus gepflegt – dafür gab es sogar mal eine Prämie der Genossenschaft, weil sie in so einem guten Zustand waren. Von diesem Geld habe ich für das ganze Treppenhaus kleine Gardinen gekauft. Wir sind das einzige Hochhaus, das sowas hat. Und wir haben gemeinsam viel unternommen: So bin ich mit den Kindern aus dem Haus nach Warnemünde an den Strand gefahren oder wir haben auf der Wiese vor dem Haus eine Decke aufgeschlagen und Ball gespielt.

Inzwischen sind leider viele der früheren Mitbewohner schon gestorben, viele neue sind eingezogen. Andere sind auch ins Altersheim gegangen, ich als inzwischen Neunzigjährige bin eine von den wenigen Mietern der Anfangszeit, die hier noch leben.

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