
Ich war damals in Groß Klein Bauleiterin für die Gründung und Erschließung im mehrgeschossigen Wohnungsbau, damals hieß dieser Beruf Objekttechnologe. In dieser Funktion war ich auch für die Bestellung der Straßenschilder für Groß Klein zuständig – den Plan für die Straßennamen und Hausnummerierungen habe ich noch heute. Inzwischen haben sich ja einige Straßennamen geändert, so wurden aus der Max-Pagels-Straße die Albrecht-Tischbein-Straße und aus dem Max-Pagels-Platz weitere Hausnummern des Schiffbauerringes – aber der Bezug der Straßennamen zum Schiffbau ist geblieben. Albrecht Tischbein war ja Mitbegründer der Neptun-Werft. Fritz Meyer-Scharffenberg, nach dem ebenfalls eine Straße benannt wurde, ist ein bisschen eine Ausnahme: Er war ein Schriftsteller, der hier in Groß Klein Dorf wohnte. Auf dem alten Plan ist noch die Brücke über die Stadtautobahn zu sehen, die aber am Ende nicht umgesetzt wurde. Das Gemeindezentrum BRÜCKE wurde erst 1984 im Rahmen eines Sonderbauprogrammes – Kirchen für neue Städte – geplant. Aber die Würfelhäuser sind schon im Plan zu sehen. Sie wurden schon zu DDR-Zeiten als Pflegeheim und altersgerechter Wohnblock geplant. Dichter an das Dorf rückten die Planungen aber nicht heran. Am damaligen Max-Pagels-Platz sollten elfgeschossige Punkthäuser entstehe und auch ein altersgerechtes Wohnhaus.
Ich kenne Groß Klein noch aus der Zeit, als hier Getreide stand. Bevor ein Wohngebiet gebaut wird, passiert ja schon sehr viel: die Erschließung, der Straßenbau und dergleichen. Der reine Wohnungsbau, also die Montage der Platten und der Ausbau, hat nicht lange gedauert, ungefähr vier Monate pro Block. Für die Vorarbeiten brauchte man deutlich länger.
Die Pläne von damals zeigen, dass der ganze Stadtteil zunächst auf dem Reißbrett geplant wurde – und dass man früh festlegte, dass hier die Namen aus dem Schiffbau genommen werden, wegen der Nähe zur Warnowwerft. Es gibt ja viele Rostocker Viertel, die auf ein bestimmtes Thema ausgerichtet sind, z.B. im Komponistenviertel. In Evershagen sind alle Straßen nach Schriftstellern benannt, in Lütten Klein nach den Partnerstädten von Rostock. Im Rahmen der Planungen baute man auch ein Modell, in dem man die Hochhäuser und 5-Geschosser auf eine Platte stellte. Angeblich soll dieses Modell im Windkanal getestet worden sein, aber wenn ich damals zur Arbeit nach Groß Klein kam, musste ich oft regelrecht gegen den Wind ankämpfen. Vermutlich ist das zwischen so hohen Häuser kaum zu vermeiden. Ich bin ja damals immer mit dem Arbeiterbus von der Südstadt hergefahren. Der hatte uns an der südlichen Ecke Schiffbauerring/Albrecht-Tischbein-Straße abgesetzt. Wir als Betriebsleitung hatten unsere Büros in den Nummern 27 und 28, da mussten wir dann im Gegenwind hinlaufen. Damals sah es hier aber insgesamt noch anders aus – bei der Errichtung des IGA-Parks ist hier noch einmal vieles umgestaltet worden. Dort wo heute das Klenow Tor steht, war eigentlich ein Punkthaus geplant, ein 18-Geschosser. Der wurde dann nicht mehr gebaut, ebenso wie eine Apotheke und ein Ambulatorium, die man in den Plänen noch sieht.
Die ersten Mieter zogen Ende 1979 ein, in das erste fertige Haus im Schiffbauerring. Die in Groß Klein errichteten Wohnschlangen wurden in Taktstraßen produziert: Die Mehrgeschosser in 3-Takt-Straßen, die Hochhäuser in 2-Takt-Straßen. Taktstraße heißt: Alle Gewerke sind in einen Bereich eingegliedert. Erst kam die Montage, dann die Heizung, Sanitär usw. Zu guter Letzt kommen dann der Maler und die Baureinigung. So gingen alle Gewerke im Takt gleichmäßig durch die Wohnblocks.
Weil wir in Groß Klein – wie vorher auch schon in Schmarl – ein sogenanntes Sockel- oder Installationsgeschoss mit dem sogenannten Leitungsgang gebaut haben, wurden hier alle Wasserleitungen, Heizung, Warmwasser, Abwasser und auch die Elektro-, Antennen- und Telefonleitungen verlegt. Normalerweise liegen die Erschließungsleitungen eines Gebiets im Erdreich, laufen einige Meter vor dem Haus entlang, mit Anschlüssen an die einzelnen Häuser, die der Hochbau dann vornimmt. Im gesamten Nordwesten ging man er aber davon aus, dass es zum Ansteigen des Grundwasserspiegels kommen kann, deshalb hat man dieses Sockelgeschoss vorgesehen. Sowohl in Schmarl als auch in Groß Klein hat man dann den ungenutzten bzw. kaum genutzten Bauraum für die Erschließung des Wohngebietes genutzt. Aber wenn jetzt mal was an den Leitungen ist, muss man da nicht buddeln, die Handwerker gehen einfach ins Installationsgeschoss, tauschen was aus oder was eben anliegt, gehen wieder raus und dann war es das.
Diese neuartigen Planungen haben mir damals wirklich Spaß gemacht – als Objekttechnologin war ich ja für alles zuständig, was das Sockelgeschoss betraf: die Fundamente, die Erschließung usw. Die Versorgungsleitungen kamen aus verschiedenen Richtungen, die Heizung von der einen Seite, die Elektroversorgung von der anderen. Und wir mussten berücksichtigen, dass das Abwasser ein gewisses Gefälle braucht, um abfließen zu können. Nach der Montage wurde die Bauwärme in die Häuser geleitet, damit der Bau halbwegs trocken für die Ausbaugewerke war. Denn wenn die Leute einzogen, musste alles anliegen. Strom musste da sein, die Entwässerung musste stimmen, Wasser und Heizung funktionieren.
Eine weitere Herausforderung beim Bau von Groß Klein war, dass es hier im Untergrund jede Menge Torflinsen gab, die vom Tiefbaubetrieb durch Sprengungen beseitigt werden mussten. Dir Baugruben, in denen vorher Torf war, wurden mit sehr viel Ostseekies als Bettungskies verfüllt. Dieser Kies war wegen seines Salzgehalts für die Betonherstellung ungeeignet, aber zum Ausfüllen ging das. Man verwendete ihn auch häufig für die Einrichtung von Baustraßen.
Dass ich später nach Groß Klein gezogen bin, das hat sich einfach so ergeben. 1981 bekam ich diese 1-Raum-Wohnung in eines der Würfelhäuser in der Albrecht-Tischbein-Straße, gegenüber von meinem ersten Büro in Groß Klein Ich war damals unglaublich happy über die Wohnung. Bis dahin hatte ich noch bei meinen Eltern gewohnt, mit meiner zehn Jahre jüngeren Schwester zusammen in einem Raum. Meine Eltern hatten eine 2 ½-Raum-Wohnung. Nun war ich endlich mal auf mich alleine gestellt und konnte entscheiden, was ich wollte; einladen, wen ich wollte. Vor dem Einzug wurde unter den späteren Mietern ausgelost, wer welche der insgesamt dreißig Wohnungen bekommt.
1983 wurde die Pfarrstelle der Ufergemeinde eingerichtet und da hieß es: In Groß Klein wird ein neues Gemeindezentrum gebaut. Das habe ich dann von Gemeindeseite aus begleitet. Ich habe an den Sitzungen teilgenommen, habe die gesamte Vorbereitung des Gemeindezentrums protokolliert. Rückblickend fühlt es sich wirklich so an, als hätte ich das Gemeindezentrum mitgebaut. Für mich ist es ein Stück mein Zuhause. Und auch Groß Klein ist für mich überhaupt nichts Fremdes, ich habe es ja entstehen sehen. Das fühlte sich ein bisschen so an, als wenn man seinem Kind beim Großwerden zuschaut.
Ich bin dann noch einmal umgezogen, aber gar nicht weit weg, in den Schiffbauerring. Und da wohne ich bis heute. Ich war Mitglied der Wohnungsbaugenossenschaft. 1995 ging ich dort hin und habe gesagt, dass ich eine größere Wohnung brauche – mindestens eine 2-Raum-Wohnung. Da hat man mir mehrere Wohnungen angeboten, auch in anderen Stadtteilen. Ich musste noch einen Wohnberechtigungsschein vorlegen, zur damaligen Zeit war das noch nötig. Dann hat man mir meine jetzige Wohnung angeboten, die habe ich genommen. Ich bin wirklich Groß Kleiner, so etwas wie ein Urgestein. Die Menschen, mit denen ich zusammen eingezogen war, waren zur Wendezeit Anfang bis Mitte 30. Viele lebten noch mit ihren Kindern zusammen – für die war die damalige Bauförderung mit Baukindergelt ein großer Anreiz, sich ein Eigenheim zu bauen. Hatte eine Familie damals zwei Verdiener, zog diese häufig ins Umland, um sich endlich den Traum vom Eigenheim zu erfüllen. Dadurch ist natürlich auch innerhalb der Gemeinde ein bisschen Substanz weggebrochen. Aber am Ende war es diese RTL-Serie über den Blockmacherring, die den Ruf von Groß Klein derart ruiniert hat. Mein Neffe hat mich früher immer gern hier besucht, auch in den Ferien. Als er jetzt nach dem Studium eine 3- oder 4-Raum-Wohnung haben wollte, kam für ihn Groß Klein überhaupt nicht in Frage: Da zieht man nicht hin. Diesen Ruf hat Groß Klein jetzt.
Auch in den Nachwendejahren stagnierte hier alles, es gab nur noch die ehemaligen Kaufhallen, sonst keine Infrastruktur. Das Klenow Tor hat das dann ein bisschen aufgewertet, ist aber jetzt in einem derartigen Zustand, dass man auch sagen kann: Das ist keine gute Visiten-Karte für Groß Klein. Wenn dieser Schandfleck wieder ein bisschen besser wäre…. Gut finde ich das Börgerhus, dass man das ein bisschen anders gestaltet hat. Aber es gibt dann eben auch Ecken, wo sich Leute niederlassen, die den Müll liegen lassen und bis in die Nacht laut sind.
Für mich ist gut, dass ich dicht am Klenow-Tor bin. Dort sitzen alle meine Ärzte, dort ist die S-Bahn-Haltestelle, so dass ich jederzeit schnell nach Rostock und noch schneller nach Warnemünde komme. Die Nähe zu Warnemünde ist hier ein großes Plus. In den Außenringen kann man bis zur Warnow gucken – und aus anderen Wohnungen auf das IGA-Gelände. Allerdings kriegt man da auch jedes Konzert mit. Sehr schön finde ich auch, dass im Vorfeld der IGA die Innenhöfe hier neugestaltet wurden. Wenn ich jetzt aus dem Fenster schaue, sage ich immer: Ich gucke auf einen Park. In manchen Sträuchern hängen schon mal die Schnapsflaschen, aber in gewissen Abständen wird alles wieder ordentlich gemacht.
In der Gemeinde merkt man sehr deutlich: Die Werftallee ist eine Trennlinie. Man geht vielleicht noch mal durchs Dorf spazieren, aber die Bewohner des Wohngebietes auf der anderen Seite laufen hier nicht ständig vorbei. Die Gemeindemitglieder kommen aus dem ganzen Stadtteil. Früher hatten wir eine großen Kinderchor. Da sind zwar schon Kinder aus dem Stadtgebiet dazugekommen, aber eher, weil sie durch andere Kinder davon erfuhren, nicht weil sie hier vorbeikamen und sahen: Ach, hier gibt es einen Kinderchor.
Wenn ich nicht in ein Pflegeheim muss, bleibe ich hier wohnen. Ich habe zwar einen Fahrstuhl, aber nur auf der halben Treppe – mit einer Gehbehinderung kann das dennoch schwierig werden. Aber vielleicht kann ich dann ja auch in ein Hochhaus umziehen. Ich habe nicht vor, hier wegzugehen. Wenn ich hier vor die Tür gehe, treffe ich fast immer jemanden, den ich kenne, mit dem man sich mal kurz unterhält. Das macht es ja auch aus. Die meisten kenne ich von früher, aber es kommen auch neue Bekannte hinzu. Ich will hier bleiben. Eine Zeit lang wohnte in der Wohnung unter mir wohl ein junger Mann, der vom Nachmittag bis zum Morgen ständig Besuch bekam, die ganze Nacht hindurch. Da war es sehr laut und an Schlaf war kaum zu denken. Ich vermute, dass Drogen mit im Spiel waren. Auf den Treppen lagen besondere „Tüten“. Und die Wohnungen sind ja so hellhörig, dass man das alles mitkriegt. Da war ich drauf und dran, aus dem Haus auszuziehen. Aber wenn das Haus ordentlich bleibt, kriegt man mich da nicht weg. Da muss man mich schon raustragen.
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