
Als wir Anfang der 1980er Jahre nach Groß Klein zogen, waren wir erstmal froh über die Wohnung, auch wenn draußen noch alles im Bau war. Die Kinder haben ja meistens draußen gespielt. Wenn die Kinder abends rein kamen, hast du die Tür aufgemacht, das Kind genommen, in die Badewanne gestellt, abgeduscht und dann konntest du sagen: Ja, ist meins. Die sahen immer aus wie die Schweine, der Modder war immer oben in die Gummistiefel reingelaufen. Aber die waren froh und glücklich. Diese Freiheit, die sie damals hatten, war schon sehr schön.
Bei unserem Einzug war unser jüngstes Kind gerade ein Jahr alt. Wir mussten ja arbeiten. Aber wir hatten hier keinen Kindergarten- oder Krippenplatz. Ich fuhr jeden Morgen nach Evershagen. Das hieß dann ganz praktisch: im Oktober, bei echtem Mistwetter, ich bin mit den Kindern um viertel fünf aufgestanden. Ich habe ihnen eine Nuckelflasche mit warmer Milch oder Kakao ins Bett gegeben, damit die wach wurden. Dann habe ich erst mich und dann die beiden Kinder fertig gemacht. Dann sind wir viertel sechs aus dem Haus gegangen. Draußen gab es noch keine Straßen oder Wege, sondern nur Modder. Man musste ganz außen rum und dann bis zum S-Bahnhof – und dorthin gab es noch keine Auffahrt. Man musste also immer jemanden bitten, den Kinderwagen mit hochzutragen. Ich habe mir manchmal anhören müssen: Was schaffst du dir so viel Gören an. Mach doch allein. Da standen mir morgens schon die Tränen in den Augen. In Evershagen dasselbe Spiel, wieder jemanden fragen. Im Schweinsgalopp zur Kinderkrippe, die war auf dem anderen Ende von Evershagen, so dass ich um sechs Uhr vor der Tür stand. Wenn die die Tür aufschlossen habe ich meinen Großen, der war ja aber auch erst drei Jahre alt, alleine in den Kindergarten geschickt. Ich lief mit dem kleineren Kind in die Krippe, hab es ausgezogen und abgegeben, bin wieder rum, um zu gucken, ob der Große auch wirklich angekommen ist. Dann wieder zurück zur S-Bahn und in die Kinderklinik zur Arbeit, wo ich um sieben Uhr anfangen musste. Da wurde ich dann schon mit so einem Gesicht empfangen: Na, du kommst ja eh erst, wenn die Arbeit schon fertig ist. Hauptarbeit war von sechs bis sieben, Kinder baden und fertig machen, wir arbeiteten damals auch noch 8 ¾ Stunden am Tag. Schön war es, wenn mein Mann Nacht- oder Spätschicht hatte. Dann hat er morgens die Kinder weggebracht – und ich konnte ganz regulär um sechs Uhr anfangen.
Irgendwann bekamen wir dann Kita-Plätze in Lichtenhagen, da wo heute die Pagode steht. Das war schon ein Fortschritt. Ich hatte mich bei „Krippen und Heime“ mal beworben, als unser Sohn ganz klein war. Damals war da keine Stelle frei und ich vergaß das Ganze wieder. Eines Abends klingelte es an der Tür. Davor stand die Krippenleiterin der neuen Kita im Signalgastweg, dort wo jetzt das DRK ist. „Sie haben sich doch mal bei uns beworben. Haben Sie nicht Lust bei uns zu arbeiten? Wir machen jetzt auf und Sie kriegen auch Ihre beiden Kinder hier untergebracht.“ Ich habe keine fünf Minuten überlegt. Damit wurde es alles viel einfacher. Ich habe dann da in der Kinderkrippe angefangen - das war nicht so mein Traum, aber erstmal ging es. Aber lange habe ich dort nicht gearbeitet, es war einfach nicht mein Ding. Das begann schon mit der Ansage: „Ich freue mich, dass wir so viele junge Genossinnen hier haben.“ Nee, ich nicht. Ich konnte mit dieser Hierarchie nichts anfangen. Ich habe immer gedacht: Ich muss hier raus. Durch Zufall hat es sich dann ergeben, dass ich in der Kinderabteilung in der damaligen Allende-Klinik in Lütten Klein als Schwester anfangen konnte. Da musste ich dann zwar auch Spätschicht machen, aber meine Tante aus Evershagen hat dann alle drei Wochen die Kinder gehütet. Später konnte ich dann auch noch in die Außenstelle der Klinik hier in Groß Klein wechseln. Da hieß es dann erst: Um Himmels willen, da wollen Sie hin? Wo so viel Arbeit ist? Jaaa. Da habe ich dann bis zur Wende gearbeitet. Dadurch kenne ich natürlich viele.
Im September 1989 sind wir dann über einen recht kuriosen Ringtausch umgezogen: Ich kannte hier in Groß Klein über meine Arbeit eine alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die eine 4-Raum- Wohnung hatte. Die habe ich einfach angesprochen, ob sie tauschen will. Dann haben wir uns alle zusammen gesetzt und haben diesen Ringtausch besprochen, haben festgelegt, an welchem Tag wir alle umziehen. Ich hatte unsere Wohnung, aus der wir auszogen, geputzt bis zum letzten. Die aus Lütten Klein brauchten nur noch kommen und ihre Sachen hineinstellen. Als wir in der 4-Raum-Wohnung in Groß Klein ankamen, waren noch alle Möbel oben. Wir haben dann unseren Kram hochgetragen und deren Kram dann runter, das war im Grunde sogar sehr effektiv. Witzigerweise gab es im Treppenhaus so eine Leiter, mit der man durch eine Luke aufs Dach kam. Die haben wir fünf oder sechs Mal vom LKW wieder runter geholt, irgendwer hat immer diese Leiter mit runter genommen. Aber im Grunde war ich erstmal ziemlich verzweifelt, weil wir in diese dreckige Wohnung kamen. Da kamen so ein paar Sachen raus, die wir vorher nicht wussten. Etwa dass die Vormieterin ihre Kinder oft in ihren Zimmern eingeschlossen hatte. Die Türen waren alle der Länge nach gerissen, weil die Kinder an den Türen gerüttelt haben, wenn Mama nachts feiern war. Die Nachbarn haben erzählt, dass die dann manchmal aus dem Fenster gepullert haben, weil sie eingeschlossen waren. Aber auch die restliche Wohnung musste renoviert werden: Die Heizkörper waren alle braun, eine Wand im Wohnzimmer war mit Velourtapete beklebt. Die kriegte man fast nur mit Hammer und Meißel wieder ab. Eine Wand war mit giftgrüner ungeleimter Wandfarbe gestrichen. Wenn man da mit Wasser ranging, war auf dem Boden davor alles grün. Im Badezimmer waren diese geflammten DDR-Glasfliesen, da war jede dritte Ecke abgebrochen. Ein Onkel meines Mannes hatte uns für die neue Wohnung Fliesen spendiert, die konnten wir dann glücklicherweise selber anbringen. Es war also alles nicht so ideal. Aber wir hatten eine größere Wohnung.
Ich bin getauft und konfirmiert bei uns „op dem Dörp“. Irgendwann, während meiner Ausbildung, kam eine Rechnung von der Kirchenkreisverwaltung über 200 DDR-Mark, die ich nicht hatte. Ich hatte nicht viel Geld. Also bin ich ausgetreten aus der Kirche. Aber ich hatte immer das Gefühl, dass mir etwas fehlt. Thomas hatte mit Kirche nicht wirklich was am Hut und dann habe ich auch nicht weiter drüber gesprochen. Aber eines Tages bekam ich eine neue Kollegin, die zur Kirche ging. In einer stillen Stunde habe ich sie dann einfach mal gefragt und sie gab mir die die Telefonnummer von Pastorin Schnauer. Die hat damals schon hier gearbeitet. Auch das Gemeindehaus gab es schon, es war aber noch nicht geweiht. Es war ja noch die Zeit vor der Wende, als man vorsichtig sein musste, mit Besuchen in der Gemeinde. Ich denke, die haben sich auch nach mir erkundigt, Schnauers kannten den Pastor, der mich konfirmiert hatte. Als dann Kirchweihfest war, lud mich meine Kollegin dazu ein. Unsere Lütte wollte mit und da es ihr Geburtstag war, erfüllte ich ihr den Wunsch. Die Kirche war brechend voll, es hat gegossen wie aus Eimern. Der Warnemünder Kinderchor ist aufgetreten und sie meinte nur: Das will ich auch machen! Von Stund an ist sie zur Christenlehre gegangen, hat sich hier engagiert und so weiter. Sie hat auch Freundinnen aus der Schule mitgenommen, das brachte mir Ärger im Elternbeirat der Schule ein. Am Martinstag kam dann auch unser Großer mal mit, aber der musste sich das erstmal genau angucken. Aber schließlich war er auch dabei und sehr engagiert.
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