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Thomas Ratzlaff, wohnt seit 1981 in Groß Klein
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 28. Jun 2024

Ich habe früher auf der Warnowwerft in der Instandhaltung gearbeitet. Im Januar 1980 hieß es dann: Du wirst im März in die AWG aufgenommen, bist dran mit einer Wohnung. Wir hatten damals schon zwei kleine Kinder, wohnten aber noch im Schwesternwohnheim in Evershagen, meine Frau ist Kinderkrankenschwester. Die Instandhaltung galt damals als sogenanntes Hilfsgewerk und der wurden nicht so viele Wohnungen zugewiesen, insofern war die Wohnung in der Herrmann-Flach-Straße, die man uns in Aussicht gestellt hatte, ein echter Glücksfall. Wir fuhren gleich hin und schauten uns den Rohbau an. Als ich dann wieder ungeduldig nachfragte, wann denn nun die Aufnahme in die AWG sei, hieß es: „Nee, du bist doch noch nicht dran.“ Es stellte sich heraus: Unsere Wohnung bekam ein junger Kollege, der gerade aus Berlin hergezogen war. Sein Schwiegervater war in der Kreisparteileitung Rostock. Da ist meine Liebe zur Deutschen Demokratischen Republik etwas erkaltet. Es dauerte dann noch eine ganze Weile mit der Wohnung. Aber ich machte immer wieder Druck: auch wenn ich nicht in die AWG aufgenommen worden war, haben sie mich ja nicht ruhig gestellt. Das heißt, ich war jede Woche in der Sprechstunde des Werkleiters und im Wohnungsbüro auf der Werft. Denen bin ich so auf den Keks gegangen, und wirklich nicht nur leise. Schließlich bekamen wir 1981 eine Wohnung von der sogenannten KWV, der kommunalen Wohnungsverwaltung. Wir bekamen die Schlüssel und stellten fest, dass sich hinter der nun offenen Tür eine kleine 2 ½-Zimmer-Wohnung befand. 56 Quadratmeter – für eine vierköpfige Familie mit zwei Kindern. Im Nachbarhaus dagegen gab es fünf Wohnungen mit großen Kinderzimmern. Es stellte sich heraus, dass in unserem Haus fünf Familien mit zwei Kindern einzogen. Die hatten alle, wie wir, das Gefühl, dass man sie beschissen hatte. In unserem Haus gab es außerdem noch Wohnheim-Wohnungen vom Düngemittelwerk. Bis zur vierten Etage wohnten da feste Mitarbeiter, aber in unserer Etage, der fünften, wechselnde polnische Gastarbeiter. Ich hatte mir im Urlaub in Dresden für viel Geld und nach stundenlangem Anstehen weiße Lederturnschuhe gekauft, wirklich super. Und es war ja in der DDR üblich, dass man seine Schuhe vor der Wohnungstür abstellte. Als die Buben dann abreisten, hatten sie meine Turnschuhe im Gepäck.


In der Wohnung selbst haben wir uns dann eingerichtet, aber wir hatten eine Mängelliste mit 93 Positionen. Das fing im Wohnzimmer an, da waren Beton-Fußstapfen auf dem Linoleum, die habe ich mit einem Meißel abgeschlagen, sonst hätten wir gar keinen Teppichboden hinlegen können, so hoch waren die. Und dergleichen mehr. Der Gipfel war, dass die Badewanne keine Emaille hatte. Vorteil: Man konnte nicht ausrutschen. Nachteil: Man konnte nicht drin baden. Den letzten Mangel haben wir viel später festgestellt. Unser Klo war dauernd verstopft. Und irgendwann habe ich die Toilette abgebaut und gesehen, dass die Bauarbeiter eine Schnapsflasche mit Korken nach unten da reingestopft hatten. Danach war das Problem dann dauerhaft behoben.


Als meine Frau dann begann, im Kindergarten hier im Stadtteil zu arbeiten, war der Start dort auch DDR-like: Die Ehemänner der Erzieherinnen haben den Endausbau des Gruppenraums gemacht. An den Türen war zum Beispiel noch kein Klemmschutz. Irgendjemand hat dann über Beziehungen Kunstleder besorgt, das wir dann über die Türspalten geklebt haben. Dann haben wir noch den Zaun um die große Spielfläche gebaut und andere Nebenarbeiten erledigt, die damals eben einfach nicht fertig waren. Und wir wollten ja, dass das da losgeht. Die anderen waren ja in der gleichen Situation wie wir. Es war ja in allen Neubaugebieten so: Wenn irgendwas fertig war, dann zogen da die jungen Familien hin. Die Betriebe hatten ein Kontingent, aber auch in unserem kommunalen Haus haben überwiegend Werftarbeiter gewohnt. Als die Kinder größer wurden, wurde das Wohnungsproblem für uns ja nicht besser.


Der Kindergarten, in den unsere Kinder gingen, machte um 18 Uhr zu. Die Kinder kletterten dann alle über den Zaun und spielten da weiter. Spielplätze gab es ja noch nicht. Sie krochen auch dauernd durch diese Riesenstapel mit Bauplatten. Monatelang blieb hier eine Walze liegen, mit der eigentlich Rasenflächen festgewalzt werden. Schräg gegenüber waren Kinder, die wurden um fünf Uhr morgens schon von ihren Eltern nach draußen geschickt. Die fanden nicht schöner, als dieses Ding anzuheben und scheppernd wieder fallen zu lassen.


1989 wurde uns eine große Wohnung in Lütten Klein, in der Wohnscheibe, dem sogenannten Polenblock, angeboten. Größe und Zuschnitt der Wohnung waren ein Traum – und dann noch mit Blick auf die Ostsee. Die Decke war schwarz geteert weil es immer wieder durchregnete. Durch Zufall konnten wir einen Ringtausch organisieren und zogen in den Schiffbauerring 9 – wieder in die fünfte Etage.


Später war dann alles drumherum grün, gerade im Schiffbauerring, der ersten Straße, die in Groß Klein gebaut worden war. Als dann nach der Wende alle Autos hatten, wurde es dort sehr eng. Als unser Sohn seinen Führerschein machte, durfte er mit meinem Auto fahren. Wenn ich dann morgens zur Arbeit wollte, musste ich erstmal gucken, wo das Auto überhaupt steht. Das war schon mal etwas abenteuerlich.


Unser Weg in die Gemeinde Groß Klein begann mit dem Gemeindezentrum „Die Brücke“. Weil Gisela wieder in die Kirche eintreten wollte, nahm sie an einer Gruppe zum (Wieder-)Kennenlernen der Kirche teil. Ich wollte sie abends – es war schon dunkel – nicht alleine durch den Stadtteil gehen lassen und begleitete sie. Arvid Schnauer hat so einen Stein rumgegeben: Wer den in der Hand hatte, sollte sagen, warum er heute hier ist. Und als ich den hatte, habe ich das so gesagt. Und dann noch: „Ansonsten glaube ich, dass ein Pfund Rindfleisch eine gute Suppe ergibt.“ Ich bin zwar als Kind getauft worden, aber hatte mich nicht konfirmierten lassen, es gab da für mich Ungereimtheiten, die ich nicht verstanden habe. Und zu Hause hat sich da auch keiner drum gekümmert. Aber ungelogen, dieser Abend hat den Anstoß gegeben, dass ich mich dann habe konfirmieren lassen und zwei Jahre später war ich Kirchenältester. Mich hatte das einfach gepackt, dieses Miteinander hier, bis heute.


Irgendwann stand dann die Wohnung im Dachgeschoss über dem Gemeindezentrum plötzlich leer. Eigentlich ist die für kirchliche Mitarbeiter, aber von denen wollte niemand da wohnen. Also zogen wir 1998 dort ein. Erst hatten wir immer nur Mietverträge über ein Jahr, aber das hat Pastor Schnauer irgendwann verstetigt. 2003 sind wir dann noch mal im Haus umgezogen.

Die „BRÜCKE“ heißt übrigens so, weil sie wie eine Brücke zwischen Schmarl und Groß Klein, zwischen dem Dorf und dem Neubaugebiet, zwischen Alten und Jungen, zwischen Christen und Nichtchristen sein soll. Das haben die Gründer dieses Haus so gedacht. Wir hatten auch mal einen Antrag vorbereitet, die Straße hier Kirchen Enn oder Kark Enn zu nennen, so wie Nigen oder Groten Enn. Aber das wäre zu teuer geworden. Früher war das hier ja der Schwarze Weg. Und auf Drängen der Schwester von Fritz Meyer-Scharffenberg, die hier im Pflegeheim war, ist das dann der Fritz Meyer-Scharffenberg-Weg geworden. Das war ja ein Dichter, der wohnte unten im Dorf. Ich finde den Namen ja nicht wirklich schlimm, aber er passt schlecht zu computergestützen Systemen, da gibt es so viele verschiedene Schreibweisen, das ist oft schwierig.

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