
Ich zog im April 1980 nach Groß Klein, aus einer 2-Raum-Wohnung in Lütten Klein in eine 2 ½-Wohnung im Blockmacherring. Das ging damals unglaublich schnell mit dem Wohnungsbau: Wenn sie mit der ersten Platte angefangen haben, sind sechs Wochen später die ersten Mieter eingezogen.
Unser Umzug fand im April bei Schneesturm statt – und auch danach war nicht gleich alles perfekt: Es standen zunächst nur wenige Häuserblocks, viele Dinge gab es einfach noch nicht. Auch die Einkaufsmöglichkeiten waren zunächst noch ziemlich begrenzt. Die Wege von der Straße zum Haus waren Plattenwege, ohne Stiefel bei Regenwetter war das nicht gut. Aber insgesamt entwickelte sich alles sehr schnell: nicht nur die Kaufhalle, sondern auch ein Kindergarten kamen – und bald gab es dann auch im Schiffbauerring die ersten Ärzte.
Wir waren sehr froh über diese größere Wohnung, die alte war für unsere vierköpfige Familie mit einem vierjährigen und einem zweijährigen Kind einfach zu eng geworden. Das Problem für uns damals war, dass unser Kindergarten in Lütten Klein war. Hier gab es zwar einen, aber da haben wir keinen Platz bekommen. Das war umso schwieriger, weil meine Frau und ich in verschiedenen Schichten arbeiteten. Meine Frau musste als Köchin immer morgens um 7 Uhr in Dierkow sein. Das bedeutete, morgens die Kinder von hier aus nach Lütten Klein zu bringen und pünktlich um 6.08 Uhr den Bus zur S-Bahn zu kriegen. Also war in der Familie Aufstehen um 4 Uhr angesagt. Nach anderthalb Jahren wurde vor unserer Haustür ein Kindergarten gebaut. Dort hätten wir allerdings nur für eines unserer beiden Kinder einen Platz bekommen. Und das hätte die Situation eher noch verschärft. Du konntest ja nicht um 6 Uhr hier mit dem einen Kind sein und gleichzeitig mit dem anderen in Lütten Klein. Also sagten wir zugunsten einer anderen Familie ab. Ein halbes Jahr später haben wir dann hier beide Kinder untergebracht – die ersten Kinder aus dem Wohngebiet kamen in die Schule, da wurden dann Plätze frei.
Bei uns im Aufgang wohnten zehn Familien mit insgesamt 22 Kindern. Das war ja in jedem Aufgang hier so. Und wir hatten sieben Schulen. In jeder Schule waren 700 bis 800 Kinder, im Schulkomplex aus 68. POS, 69. POS und 70 POS waren es also insgesamt mehr als 2000. Das hat nie Ärger gegeben, auch mit den Anwohnern nicht. Bis zum Jahr 2000 wurden die Kinder hier bis nachmittags betreut. Das war gut, denn durch unsere Arbeit waren meine Kinder von morgens um 6 Uhr bis nachmittags um 17 Uhr alleine. In der ersten Klasse ging unsere Tochter noch in den Frühhort, da wollte sie aber nach einem halben Jahr nicht mehr hin. Ab dem zweiten Schuljahr haben wir ihr dann einen Wecker gestellt, zum Aufstehen. Und in der Küche hat ein zweiter Wecker geklingelt: Dann wusste sie, dass sie zur Schule gehen muss. Damit sind unsere Kinder auch früh selbständig geworden. Wir konnten sie damals alleine lassen, wir hatten keine Angst, dass etwas passiert. Die Kinder im Haus haben auch untereinander aufeinander aufgepasst, die Ältesten haben die Kleinen oft mal mitgenommen. Unsere Kinder brauchten auch nur eine Straße überqueren, um zur Schule zu kommen, das war Standard.
Heute werden die Kinder ja auch nachmittags überall hingefahren, zum Sport usw. Meine Große hat damals Volleyball als Leistungssport gemacht und fuhr zum Training in die Südstadt immer allein mit der S-Bahn. Sie haben immer Altpapier und so weiter gesammelt, dann hatten sie Geld. Am Hauptbahnhof gab es immer Bockwurst und rote Fassbrause. Einmal hat sie die Bockwurst gekauft und mit ihrer Freundin geteilt, beim nächsten Mal war es umgekehrt.
1980 hatten wir auch eine gute Hausgemeinschaft. Ich war damals auch im Wohngebietsausschuss. Wir haben viel gemacht, vor allem unser Umfeld selbst gestaltet, nicht nur die Grünanlagen, die es am Anfang natürlich noch nicht gab. Wir hatten einen Ausgang hinten zum Hof raus, einen schönen Innenhof im Blockmacherring, da haben wir uns eine Terrasse gebaut, schön mit Hecke umrandet. Da wurde dann gemeinsam gefeiert, beispielsweise am Kindertag, und abends zusammen gegrillt. Am Schluss musste man dann aufpassen, dass alle auch wieder familienmäßig in die richtige Wohnung finden. Noch heute stehen in den Hinterhöfen im Stadtteil viele Bäume, die wir als Mieter vor vielen Jahren gepflanzt haben. Das war unser Grundverständnis: Man kann nicht immer nur von der Gesellschaft nehmen, man muss auch selbst etwas einbringen. So haben wir es auch unseren Kindern beigebracht. Meine jüngere Tochter war beispielsweise mit ihrem Chor im Altenheim hier in Groß Klein, zum Vorsingen und damit sie etwas Geld für ihre Klassenfahrt zusammenbekamen. Dadurch entstand ein guter Kontakt zwischen Alten und Jungen. Und meine ältere Tochter verstand sich gut mit einem alten Ehepaar im Nachbarhaus, ist für sie einkaufen gegangen, ohne dass wir etwas gesagt hätten. Die Alten haben dann auch mal ein paar Mark für ein Eis oder so gegeben, aber so war eine Beziehung zu den älteren Menschen vorhanden. Das gibt es heute nicht mehr.
Was die Grünflächen betrifft: Zu DDR-Zeiten gab es im Baugesetz eine Regelung, dass auf so und viel Quadratmeter Wohnraum eine bestimmte Grünfläche kommt. Deswegen haben wir hier bei uns echt viel Grün. Für Groß Klein war damals vorgesehen, die ganzen Parkplätze außerhalb des Wohngebiets anzulegen, deshalb gibt es die großen Parkplätze am Rand, im Stadtteil aber nur wenige. Und meistens durftest du dort nur eine Stunde stehen. Begründet wurde das mit den vielen Schichtarbeitern, die der Verkehr stört, wenn sie tagsüber schlafen – und damit, dass es für die Kinder sicherer ist, wenn sie zur Schule gehen.
Die S-Bahn wurde hier Ende der 1960er/Anfang 1970er Jahre mit zwei Strängen durchgebaut, um eine schnelle Verbindung zu haben. Der Gedanke war, dass Busse aus den Stadtgebieten als Zubringer fahren. Damals war die S-Bahn deutlich länger als heute und fuhr alle 7 ½ Minuten. Beim Halt in Lütten Klein gab es immer eine regelrechte Völkerwanderung. Da hat man schon weit voraus gedacht, das ist heute leider so nicht mehr.
Als unsere Kinder dann zwölf und vierzehn waren, zogen wir nochmal innerhalb des Hauses in eine größere Wohnung, die zwei Stockwerke höher lag. Und um 2000 begannen wir, über eine altersgerechtere Wohnung nachzudenken. Wir wohnten ja nun im vierten Stock und die WIRO hatte nicht vor, einen Fahrstuhl einzubauen. Dann haben wir uns immer umgeguckt, meine Frau hat dann gesehen, wie ein Haus total umgebaut wurde, sogar der Grundriss wurde verändert. Dann stand da ein Schild „Wohnungsbesichtigung“, das hat sie wahrgenommen. Sie rief mich dann auf der Arbeit an: „Du, ich habe eine Wohnung gefunden. Mit Fahrstuhl und alles neu.“ – Nun wohnen wir wieder im 4. Stock, aber mit Fahrstuhl, leider nur auf der halben Etage.
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