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Daniel Allzeit, Jahrgang 1978, lebt seit 1986 in Lichtenhagen
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 30. Apr 2024

Ich bin in Warnemünde geboren und habe dort auch die ersten sieben Jahre meines Lebens gewohnt. Die Wohnungen in den Neubaugebieten hatten einen ganz anderen Standard, und es war schön, dass meine Eltern eine bekommen haben. Die Wohnung wurde ausgelost, die Keller ebenfalls. Manche Keller konnte man ein bisschen vergrößern, indem man ein Stück des Gangs mit einbaute, wenn da weiter keiner lang musste. Zu DDR-Zeiten hat man ja aus Mist Bonbon gemacht. Ich war acht, als wir hier eingezogen sind - und seitdem wohne ich hier, immer noch in der gleichen Wohnung. Meine Eltern sind nachher wieder ausgezogen, weil ich keine Anstalten dazu machte. Ich habe das dann immer so verkauft, dass meine Eltern mich verlassen haben. Sie sind zurück nach Warnemünde gezogen und ich habe die Wohnung behalten. Dann kam ich mit meiner jetzigen Frau zusammen, inzwischen leben wir hier mit unseren Kindern. Ich habe auch nicht vor, hier auszuziehen – die Wohnung ist sogar altersgerecht und Du weißt ja: Einen alten Baum verpflanzt man nicht.


In Lichtenhagen aufzuwachsen fand ich am Anfang schwer. Meine Schule und meine Freunde waren ja bis dahin in Warnemünde. Und jetzt wohnte ich im Neubaugebiet, ohne Kontakte und in einem der Häuser, an denen es noch nicht mal Wege und Parkplätze gab. Überall war Modder, man ging über Paletten und zurückgebliebenen Bauschutt. Wenn es regnete, versank man mit den Schuhen im Modder, wenn man auch nur zur Mülltonne wollte – die allerdings auch drei Häuser entfernt stand.


Trotz des schweren Starts gab es irgendwann einen Zeitpunkt, an dem ich in Lichtenhagen richtig angekommen war. Da hatte ich dann meine Klassenkameraden und meine Freunde hier. Damals war das ja auch alles noch ein bisschen anders: Die Kinder trafen sich draußen, meist die aus einem Wohnblock: Die Kinder aus den Würfelhäusern haben zusammen gespielt, die aus den anderen Blocks haben dort zusammengegluckt. Wir haben Fußball gespielt, immer nur Fußball. Da drüben war noch ein Steinplatz mit Sand. Wenn es geregnet hat, standen da die Pfützen und du hast gehofft, dass die weggehen. Oder der Sportplatz der heutigen Hundertwasser-Schule: das war damals noch ein Rasenplatz und das Wasser lief dort auch nicht ab. Hier zwischen den Häusern haben wir auch Fußball gespielt, zwischen den alten Wäschestangen dort. Aber wir hatten ja auch nichts. Keine Handys. Fernsehen? DDR 1 und 2? Da warst du halt draußen. Von klein auf an. Egal ob hier oder auf dem Boulevard. Da waren ja auch Tischtennisplatten aus Stein, da hast du dich mit welchen aus deiner Klasse getroffen. Das Gute war: Da gab es eine große digitale Uhr. Da hattest du immer die Uhrzeit im Blick. Du wusstest, wie schnell du laufen kannst – und dementsprechend bist du dann losgelaufen: zwei Minuten, bevor du zu Hause sein musstest. Damals war das noch so. Wenn du um halb zu Hause sein solltest, dann musstest du um halb zu Hause sein. Nicht so wie heute. Das war eine interessante Zeit.


Bis zur Wende ging ich in Lichtenhagen zur Schule, danach wurde es unruhig: Du kamst von einer Schule auf die andere, keiner wusste, was gehauen und gestochen ist. Letztlich habe ich dann in Lichtenhagen drei Schulen besucht. Die 62. POS, die später abgerissen wurde, dann die 61. POS und später auf die Gesamtschule, die jetzige Hundertwasser-Schule. Die war zu DDR-Zeiten eine POS. Die Nordlicht-Schule war eine Realschule.


In den 1990er Jahren veränderte sich dann alles. Die HO-Kaufhallen wurden zu Sparmärkten. Als Jugendlicher kriegtest du dann ja auch große Augen, was es da alles so gibt. Sachen wurden abgerissen oder entfernt, bei manchen dachtest Du: Warum? Viele Läden wurden ja auch geschlossen, so sieht der Boulevard ja jetzt auch aus. Die Treuhand hat alles verscheuert.


Wenn wir abends weggingen, in den 1990er Jahre, ging es ins Fun nach Lütten Klein. Oder ins Shanty, aber das war auch nicht so mein Ding. In Lichtenhagen war nichts, wo man hingehen konnte. Damals hat man sich manchmal noch bei der Kaufhalle getroffen, wo jetzt die Pagode ist. Das war überdacht, da konntest du draußen stehen. War trotzdem schön. Wenn du anspruchslos warst und nur Fußball gespielt hast, da hast du immer eine Ecke gefunden.


Heute ist Lichtenhagen ein sozial schwacher Stadtteil, aber als Brennpunkt empfinde ich ihn nicht. Es gibt aber sehr wenige Angebote – und es werden mit der Zeit eher noch weniger, manchmal schwer verständlich warum. In Lichtenhagen Zentrum war ein Aldi, wo jetzt die Sparkasse ist. Da hat man sich gefragt: Wie kann das sein, dass so ein günstiger Markt dicht macht? Der Döner-Laden, die Bäcker im REWE und im LIDL – alle geschlossen, Janny’s Eis ebenso. Vermüllung hast du hier auch genug, immer an den gleichen Stellen, aber nicht so, dass die Straßen dreckig sind. Da wird eben der Sperrmüll abgestellt und irgendeiner wird schon anrufen. Du hast hier natürlich nicht die Einkaufsmöglichkeiten wie in Lütten Klein, aber du hast Verkehrsanbindungen, du kommst überall hin, nach Diedrichshagen, Elmenhorst oder nach Warnemünde zum Strand.


Die Freunde aus Kindheitstagen sind alle weggezogen, nur die Eltern treffe ich hier noch. Aber ich habe in Schmarl einen guten Job, da kam es für mich nie in Frage hier wegzuziehen. Meine Frau arbeitet in Lütten Klein, das geht auch. Unsere Kinder sind in Lütten Klein in den Kindergarten gegangen, ich habe da Zivildienst gemacht und kannte die Leute, auch die der „alten Schule“. Uns hat es hier ja an nichts gefehlt. Einkaufen kannst du hier. Ich gucke aus unserem Fenster und habe freie Sicht. Das ist hier ein schönes Wohnen. Außerdem haben wir hier zwei Gärten, bei der Kleingartenanlage Burrkhäwer, nebeneinander, hat sich so ergeben. Ich bin da auch Vorsitzender, passt alles. Allerdings gibt es in den Gartenanlagen gerade auch einen Generationswechsel. Die Alteingesessenen sind nicht mehr da, altersbedingt zum Teil, manche sterben auch weg. Wir haben keinen Leerstand, ich brauche gar nicht suchen, die gehen von einer Hand in die andere. Die Anlage hat ja auch eine gute Anbindung.


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