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H.W., Jg. 1942, lebt seit 1976 in Lichtenhagen
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 30. Apr 2024

Wir sind 1976 nach Lichtenhagen gezogen, d.h. meine Frau, meine Tochter und ich. Vorher wohnten wir in der Doberaner Straße in einer 1 ½ Zimmer-Wohnung, die Toilette befand sich im Keller. Dann hatten wir das Glück, dass wir in eine Wohnungsgenossenschaft aufgenommen wurden. Wir mussten natürlich unseren Genossenschaftsanteil einzahlen und 250 Arbeitsstunden ableisten. Die bestanden damals nur aus Schaufelarbeit, heute würde man das mit einem kleinen Bagger erledigen. Dafür haben wir eine Wohnung bekommen. Insgesamt wurden vierzig Wohnungen verlost, davon waren fünf ohne Balkon. Ich zog als Dritter oder Vierter ein Los – und zog eine Wohnung ohne Balkon, das war natürlich eine Enttäuschung. Aber trotzdem: Nun hatten wir 2 ½ Zimmer, die Toilette in der Wohnung, Warmwasser, Heizung und Dusche, alles vorhanden. Man brauchte keine Kohlen mehr schleppen. Das war schon toll und ein Erlebnis im Vergleich zu vorher. Die Umgebung des Hauses war bei unserem Einzug noch eine Baustelle. Es gab noch keine Gehwege, nur provisorische Betonplatten, also brauchten wir bei Nässe Stiefel, um zum Haus zu gelangen. Es waren auch noch keine Bäume gepflanzt, das kam alles erst im Laufe der Zeit. Als Mitglieder einer Genossenschaft mussten wir auch nach dem Einzug Stunden leisten. Wir konnten dann also Sträucher pflanzen, legten die Platten in eigener Regie. Damit konnten wir unser Umfeld selbst gestalten – und schneller als andere Wohnblöcke. Das war schon etwas vornehmer. Bei den anderen war noch Modder. Und wir konnten damals bis Warnemünde gucken, um uns herum war ja alles noch Wiese.


Unsere Tochter, 1972 geboren, war damals vier Jahre alt. Wir hatten Glück, dass wir einen Kindergartenplatz direkt in unserer Straße bekamen. Wir mussten ja morgens um 6 Uhr mit der S-Bahn zur Arbeit und um 6 Uhr öffnete auch der Kindergarten, da standen wir dann immer schon vor der Tür.


Und wir wollten unbedingt einen Garten haben. Auch dafür gab es lange Wartezeiten, aber 1978 bekamen wir ihn dann. Also eigentlich erstmal noch keinen Garten, sondern ein Stück Wiese, auf dem Gelände der Gartensparte „Uns Fritid I“, Richtung Diedrichshagen. Aber wir haben gebuddelt, das war ja keine Entfernung. Wir brauchten nicht nach Doberan oder Satow oder wo die Leute überall so hinwollten. Auch das haben wir selbst gebaut, wie man das früher alles gemacht hat. Gut, wir waren jung. Aber man hat das neben der Arbeit ja alles machen können und auch geschafft. Das sind Erlebnisse, die man nicht vergessen sollte.


Die Jugendweihe meiner Tochter im Jahr 1986 haben wir auch im Stadtteil gefeiert. Damals gab es hier noch keine Gaststätten, die man mieten konnte, also feierten wir in den Wohnungen, wie auch die großen Geburtstage. Da wurde das Schlafzimmer dann ausgeräumt und da wurde drin gefeiert. Wir waren sechs Kinder mit ihren Familien, da war die Stube voll. Das war immer schön.


Dann kam die Wende und auf einmal, in den Jahren 1990 und 1991, war der Markt in Lichtenhagen voll. Auf einmal gab es alles: Fleisch, Klamotten und so weiter. Man kannte ja nur die Sparhalle. Mehr hatte man nicht. Das war hervorragend. Außergewöhnliche Sachen, was wir nicht kannten.


1992, da kam die Sache mit Lichtenhagen. Ich kam immer Freitag abends nach Hause, ich hatte ein fremdes Kennzeichen am Auto, RS für Remscheid. Das war die Hauptniederlassung meiner Firma, deswegen hatte ich eine Remscheider Nummer. In Kröpelin wurde ich schon kontrolliert, dann in Rostock noch mal. Fremdes Kennzeichen, im Kofferraum hatte ich nur meine großen Kataloge. Ich konnte dann immer weiterfahren. Wir wohnten ohne Balkon zur Straße raus, wir haben das nicht so direkt erlebt, aber man hat den Lärm ja gehört, Blaulicht und so. Wir sind aber selber nicht rausgegangen und haben uns da zurückgehalten.


Übers Wegziehen haben wir auch nach der Wende nie ernsthaft nachgedacht – kein Interesse. Auch selbständig bauen wollten wir nicht. Wir haben unsere Stunden geleistet, geschaufelt, wir haben die Anteile gezahlt und fühlen uns wohl in unserer Genossenschaftswohnung. Zumal am Ende sogar Balkons angebaut wurden. Nach viel Staub und Dreck war das alles fertig.


Allerdings habe ich mich vor 15 Jahren, zwei Jahre nach dem Einbau des Balkons, am Knie verletzt – ein Meniskusriss. Nun lief ich an Krücken und die dritte Etage wurde zu einer echten Quälerei. Also beschlossen wir, in eine Wohnung mit Fahrstuhl umzuziehen. Und seitdem wohnen wir in der Parchimer Straße, in einem Haus mit Fahrstuhl und Balkons. Das ist eine ehemalige 4-Raum-Wohnung, die in drei Räume umgebaut wurde: Aus zwei Kinderzimmern wurde eins gemacht und das Schlafzimmer wurde verkleinert.


Zur IGA 2003 kam noch das Thema auf, dass die Straßenbahn nicht in Lichtenhagen aufhört, sondern bis Warnemünde weitergehen sollte, bis zur Sternwarte, der heutigen Jugendherberge. Dann stellte sich aber heraus, dass das Baugeschehen insgesamt zu teuer geworden wäre, das Ganze ist Moorgelände. Die Schienen hätten alle auf Pfählen gebaut werden müssen. Jetzt sieht man ja in Tribsees, wohin das führt. Das hat sich dann aber zerschlagen. Wobei, die Straßenbahn, wie sie im Plan war, bis zur Sternwarte hin, das wäre natürlich für ganz Rostock super gewesen. Wir können froh sein in Lichtenhagen, wir haben einen Anschluss an Straßenbahn, Bus und S-Bahn. Wir haben Kaufhallen, wir haben Ärzte, wir sind eigentlich vom Wohnen her super bedient.


Kommentare

d. M Y | @ .
Ich teste mal den Kommentar.

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