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N.N., lebt seit 1995 nach Schmarl
@Tom (Redaktion "Stadtgespräche") . . 07. May 2025

Wir sind im November 1995 aus Kasachstan nach Deutschland gekommen. Wir kamen in Hannover an und verbrachten dann zwei Wochen im Erstaufnahmelager Schönberg. Danach kamen wir in eine Unterkunft in der Nähe von Schwerin. Dort blieben wir bis meine Oma starb, die schon seit 1992 in Rostock lebte, zusammen mit meinen Eltern. Meine Oma ist 101 Jahre und 5 Monate alt geworden. Mein Vater lud uns zur Beerdigung ein und wir machten uns zu sechst auf den Weg: Mein Mann und ich, unsere drei Töchter und ein Enkelkind. In Rostock bekamen wir dann die Möglichkeit, zu sechst eine 2-Raum-Wohnung in der Parkstraße zu beziehen. Wir waren damit zufrieden – in der Unterkunft hatten wir nur ein Zimmer mit Doppelstockbetten gehabt. Doch schon kurz darauf, zum Januar 1996, bot man uns eine 4-Zimmer-Wohnung in Schmarl an, mit 76 Quadratmetern. Das war natürlich sehr gut. Unsere Möbel haben wir uns damals vom Sperrmüll geholt - zuerst zwei Couchen. Auf einer haben mein Mann und ich mit unserer jüngsten, damals zehnjährigen Tochter geschlafen. Wir hatten einen sehr guten Nachbarn, der früher bei der WIRO gearbeitet hatte und nun Rentner war. Er schenkte uns ein Klappbett, auf dem unsere älteste Tochter mit ihrem Baby schlafen konnte. In den nächsten Jahren unterstützte er uns sehr, wir hatten ein sehr gutes Verhältnis. Mein Mann hat ihm einige Jahre lang im Garten geholfen. So blieb es, bis der Nachbar sehr krank wurde und nach Groß Klein umzog. Danach ging der Kontakt leider verloren.

Als wir nach Deutschland kamen, konnten meine Töchter noch kein Deutsch. Ich dagegen schon, auch deshalb, weil meine Oma Deutsche war. Sie wurde 1894 an der Wolga geboren und sprach ihr Leben lang nur deutsch, kein Russisch. 1941 wurde sie nach Kasachstan verschleppt. Dort wohnte sie bis 1957, dann zog sie nach Russland zu ihrem jüngsten Sohn, um seine Familie zu unterstützen. Wenn uns Freunde besuchten und merkten, dass meine Oma nur deutsch sprach, fragten sie häufig: „Seid ihr Faschisten?“ Das war für uns schlimm, deshalb sagten wir dann immer: „Sei bitte ruhig, Oma, sprich nicht deutsch!“

Meine Mutter ist in der Ukraine geboren, mein Vater an der Wolga – und auch die Eltern meines Mannes stammen aus der Ukraine. Aber sie sind alle Deutsche. In der Ukraine gab es damals sogenannte „deutsche Straßen“. Und die Deutschen waren oft wohlhabend – sie hatten Häuser, Pferde, eine Kuh. Wohl auch deshalb mussten sie 1938 weg, nach Kasachstan. Das war eine lange Fahrt im Schnee, bei der viele Verwandte erfroren. 1992 sind meine Eltern und zwei meiner Brüder nach Deutschland übergesiedelt. Es war für die Deutschen in Kasachstan keine Frage, ob man fährt, sondern nur wann.

1999, meine beiden älteren Töchter waren schon ausgezogen, verheiratet und hatten eigene Wohnungen, zog meine Schwiegermutter zu uns in die Wohnung. Einige Zeit nach ihrem Einzug hatte sie einen Herzinfarkt und konnte die Treppe zu uns in den vierten Stock nicht mehr laufen. Also stellten wir bei der WIRO einen Antrag, dass wir in die gleiche Wohnung im Erdgeschoss umziehen konnten. Wir wollten unbedingt in Schmarl bleiben, weil es uns hier sehr gefällt. Erst sah es nicht so aus, als ob das klappen würde, aber nach einer Woche kam dann die gute Nachricht und wir zogen in eine Wohnung im ersten Stock um, hier in Schmarl. Meine Schwiegermutter war zufrieden, dass sie die Treppen nicht mehr gehen musste.

Mein Mann und ich haben hier sehr viel gearbeitet. Unsere älteren Töchter sind später aus Rostock weggezogen wegen der Arbeit – und unsere jüngste Tochter erfüllte sich den Wunsch, nach Berlin zu ziehen: Sie ging zum Studium an die Humboldt-Universität. Inzwischen wohnt sie in den Bergen, aber das ist nichts für uns: mein Mann und ich haben Asthma. Hier in Schmarl haben wir alles, was wir brauchen: Das Einkaufszentrum ist hier - und alle Ärzte sind hier oder in Lütten Klein. Der Bus hält vor dem Haus, wir können zum Friedhof nach Toitenwinkel. Und wir haben einen Garten. Wir gehen alle zwei Wochen zum Kegeln mit Freunden, ich singe im Chor. Alles ist da, uns gefällt es hier.

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