
Wenn ich auf die letzten Jahrzehnte zurückblicke, kann ich sagen, dass es ein arbeitsreicher und auch sehr schöner und intensiv erlebter Zeitraum für mich war. Vor dreißig Jahren hatte ich eine Vision, wie der Freizeitbereich der Schmarler Bevölkerung bereichert werden könnte. Aber all diese schönen Angebote, die Begegnungen und vielseitigen Erlebnisse bis hin zu den jetzigen großartigen Projekten, die sich in unserem “Haus Mandala“ befinden, konnten nur in einer großen Gemeinsamkeit mit vielen Mitstreiter*innen, Anwohner*innen und Bekannten und nicht zuletzt mit der immerwährenden Unterstützung meiner Familie entstehen und durchgeführt werden. Deshalb möchte ich mich an dieser Stelle gleich als erstes bei allen für diese erfüllende Zeit bedanken.
Ich zog mit meiner Familie vor rund vierzig Jahren nach Schmarl, in dieser Hinsicht sind wir „alte Schmarler“. Vor der Wende war Schmarl bekannt für sein Einkaufszentrum. Die Menschen kamen sogar von außerhalb dorthin. Es gab in Schmarl damals noch ein Kino und ein Vielen bekanntes Restaurant – das Varna. Für diese Dinge war Schmarl vor der Wende bekannt. Dann kam die Wende und alles war im Umbruch. Die Arbeitslosigkeit nahm auch in unserem Stadtteil stark zu, viele waren auf einmal ohne Arbeit zu Hause, das Kino und das Restaurant brannten ab, das Einkaufszentrum fing an zu zerbröckeln.
Gemeinsam mit anderen Frauen aus dem Umfeld beschlossen wir, etwas für den Stadtteil zu unternehmen. Wir überlegten in einer Frauenrunde, wie wir selbst für Schmarl ein Angebot schaffen könnten, bei dem alle zusammenkommen, wo man sich begegnet, Anregungen findet und auch über Nöte und Probleme sprechen kann.
Und so trafen wir uns am 25.10.1995 und gründeten einen Verein. Wir konnten dafür keinen besseren Namen als „Begegnungsstätte“ finden, denn genau das sollte es ja werden. Als nächstes suchten wir nach Räumen. Die ehemaligen Räume der Ostsee-Sparkasse im Kolumbusring gehörten zu „Spar“, die hatten auch die große Kaufhalle übernommen. Ich sprach mit dem Verantwortlichen, der unser Anliegen toll fand und uns Unterstützung versprach. Er zeigte uns einen großen Raum, mehrere Nebenräume und eine Toilette. Das reichte uns. Außerdem konnten wir gut erhaltene Sachen aus dem ehemaligen Kino und Restaurant weiter nutzen, beispielsweise Geschirr, Tische und Stühle. So entstand ein sehr schöner Raum direkt im Zentrum von Schmarl, den wir dann ab 01.01.1996 eröffneten.
Wir plakatierten an den Fenstern: „Wer hat Lust mitzumachen? Wir sind offen für alle Ideen!“ Wir wollten vor allem das Umfeld, die Schmarler*innen erreichen. Und weil wir mitten im Zentrum lagen, kamen auch wirklich viele Menschen vorbei, so dass wir schon kurz nach der Eröffnung der Räume viele Ideen und Mitstreiter*innen hatten. So konnten wir ganz schnell viele unserer Ideen umsetzen.
Dabei entstand beispielsweise der Montags-Tanznachmittag für Senioren, weil ein Nachbar sein Radio und seine CDs mitbrachte und alle Senioren der Umgebung einlud. Dienstag vormittags trafen sich tanzlustige Frauen unter der Leitung von Frau Meier und auch für die Kinder entstanden viele unterschiedliche Angebote.
Wir hatten zunächst unser privates Geld genommen, um die Miete zu bezahlen, die damals unsere einzige Ausgabe war. Alles andere übernahmen „Ehrenamtler“. Ich bin dann trotzdem zum Arbeitsamt gegangen und beantragte ABM-Stellen. Damit wurde aber der bürokratische Aufwand unglaublich umfangreich. Für jedes konkrete Projekt mussten wir Gelder neu beantragen, beim Arbeitsamt, dem Jugendamt oder beim Kulturamt bzw. bei verschiedenen Stiftungen. Das hieß eben auch: Anträge schreiben und alles richtig abrechnen und wieder dokumentieren.
Ende 1996 mussten wir dann aus den Räumen ausziehen, weil „Spar“ uns mit den Räumlichkeiten nicht mehr unterstützen konnte – da war zunächst unklar, wie es weitergehen würde. Aber, wie so oft im Leben, fand sich auch hier eine Lösung. Wie man sagt: Wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf. Ich bekam aus dem Ortsbeirat den Tipp, dass unser jetziges Haus im Stephan-Jantzen-Ring 32 als Kindergarten aufgegeben werden sollte. Die KOE als Vermieterin machte mit uns einen Mietvertrag und wir konnten den früheren Kinderwagen-Raum anmieten. Damit zogen wir allerdings vom Schmarler Zentrum in den südlichen Teil des Stadtteiles. Das bereitete uns zunächst Sorge. Aber alle fühlten sich in unserer Begegnungsstätte so wohl, dass wir sämtliche Angebote mit in die neuen Räume nehmen konnten. Zusätzlich ergab sich die Möglichkeit, die ehemalige Küche des Kindergartens anzumieten.
Nach der Schließung des ehemaligen Kindergartens fehlte es damals an Freizeitangeboten für die jüngeren Schulkinder unseres Umfeldes – die „Schlüsselkinder“, wie wir sie nannten. Sie kamen deshalb gerne zu uns. Wir haben angefangen, in der Küche Mahlzeiten für die Kinder zu kochen. Eine arbeitslos gewordene Köchin übernahm dies und alle sagten: „Die kocht wie bei Muttern zu Haus“. Dadurch konnten wir den Kindern anbieten, nach der Schule zum Mittagessen zu uns zu kommen. Anschließend blieben sie dann am Nachmittag bei uns, wir organisierten Beschäftigungen für sie – erst einen Mädchentreff, kurz darauf einen Jungentreff. Außerdem gab es noch viele andere Projekte, wie z.B. „die Naturranger“. Der erste „Kinderortsbeirat“ wurde gegründet. Das Schwarzlichttheater und auch die „Kinderdisco“ waren immer voll ausgebucht.
In unserem „Erzählcafe“ richteten wir für viele Anwohner deren Familienfeste aus. Dieses Angebot wurde auch sehr schnell bekannt und beliebt.
1997 haben wir einen Kindergarten eröffnet. Wir hatten vorher eine Mutter-Kind-Gruppe bei uns. Einige der Mütter konnten nach der Babypause arbeiten oder eine Weiterbildung machen und wünschten sich eine kleine Kita. Mit einer arbeitslos gewordenen Mitstreiterin, die vorher als Kindergärtnerin tätig war, erarbeiteten wir ein Projekt für eine Kleinstgruppe. So entstand nach der Genehmigung durch den Jugendhilfeausschuss diese Kleinst-Kindergarten Gruppe, die wir „Käferbude“ nannten – und die Begegnungsstätte wurde zum Träger der Kita.
In meiner „Freizeit“ war ich aktiv in den verschiedenen Schmarler Gremien und konnte so vieles für die umliegende Bevölkerung anschieben und auch durchsetzen. Durch die gute Zusammenarbeit mit den anderen Vereinen, die es zu dieser Zeit in Schmarl gab, führten wir gemeinsam Stadtteilfeste und beispielsweise auch die Martinsumzüge durch.
Im September 1999, wir hatten gerade gemeinsam ein tolles Stadtteilfest organisiert, kam von der KOE die Information, dass wir aus unseren Räumen ausziehen müssen. Offenbar wollte man das Haus abreißen, weil es sich nicht mehr „rechnete“. Wir erfuhren kurz darauf, dass alles schon fest geplant war. Man bot uns an, in den Vitus-Bering-Ring 5 umzuziehen. Dort waren damals viele Vereine. Heute steht das Gebäude jedoch nicht mehr. Wir protestierten: Das geht so nicht, wir wollen an diesem Standort bleiben. Wir hatten so eine Klientel, die hier wirklich zu Hause war, allein schon die Kinder und Senioren. Wir hatten so viel Unterstützung von Ehrenamtlichen, die hatten hier eine Aufgabe und auch Halt gefunden. Bei einer Begehung waren viele Bürger aus dem unmittelbaren Umfeld hier, um uns zu unterstützen. Der Ortsbeirat stand hinter uns, aber: Letzten Endes mussten wir wieder einmal „eben alles selbst machen.“
Wir fingen an zu überlegen und zu rechnen, wie wir das Haus auslasten könnten. Es war klar, dass wir es nicht zum Nulltarif bekommen würden und am Ende kostete es wirklich viel Geld. Unser Argument, dass die Stadt ja die Kosten für den Abriss sparen würde, half da nicht viel. Am Ende gründeten wir einen zweiten Verein, den „Mandala e.V.“. Wir nahmen einen Kredit auf, mit dem wir dann im Jahr 2000 das Haus kaufen konnten.
Da die Jugendherberge in Warnemünde umgebaut wurde, konnten wir uns von dort Betten und Schränke holen – und das taten wir auch, gemeinsam mit vielen Mitstreitern. Die ersten Mieter, die das „Haus Mandala“ nutzten, waren die „Weidendom-Bauer“. Vieles war noch nicht fertig als sie kamen, zum Beispiel die Bäder, die ja noch vom früheren Kindergarten stammten. Die Besucher amüsierten sich sehr über die kleinen Toiletten. Es war für uns alle eine schöne Zeit. Die Nächte für uns waren kürzer. Nach dem die „Weidenbauer“ mit der Arbeit fertig waren, richteten wir Übernachtungsmöglichkeiten für Klassenfahrten und für die Sportgruppen, die in Rostock ihr Turnier hatten, ein. Außerdem ist die Kita in dieser Zeit enorm gewachsen. Am Anfang hatten wir dort ja nur 24 Plätze, aber es kamen immer mehr Anfragen. Jedes Jahr erweiterten wir diese ein Stück mehr.
Durch das Erzählcafé, hatten wir Kontakte zu vielen älteren Bewohnern. Von denen sagten viele: Wir möchten nicht in ein Altenheim, brauchten aber eben altersgerechte Wohnungen. Und sie wollten nicht weg aus Schmarl. Diesen Wunsch haben wir aufgegriffen und mit der Genehmigung der Krankenkassen eine Tagespflege eröffnet, damals gab es noch nicht so sehr viele. Wieder ein neues Arbeitsfeld, in das ich mich erst einmal einarbeiten musste.
Wir dachten auch viel darüber nach, wie man die Senioren länger betreuen konnte als nur tagsüber. Wir wollten ja für die Leute da sein. Also beschloss unser Verein, das Haus nochmal umzubauen. Es war natürlich auch wieder ein kleiner Kampf, aber letztendlich sind hier nun fünfzehn sehr schöne Wohnungen für ein „betreutes Wohnen“ entstanden. Und das Schöne darin ist, dass der Ambulante Pflegedienst „Mandala“ auch im Haus sitzt und wir somit eine Betreuung und medizinische Versorgung anbieten können.
Von Anfang an haben wir uns immer an den Bedürfnissen der Menschen unseres Wohnumfeldes orientiert. Dementsprechend hat sich der Charakter dieses Hauses öfter gewandelt. Die KITA und die Bewohner des Hauses erleben heute gemeinsam viele schöne Stunden. So kommen z.B. regelmäßig die Kinder des Kindergartens zum Geburtstag der Bewohner und zeigen uns, wie schön sie singen können. Oder die Senioren besuchen die Kinder auf dem Hof, beispielsweise zum Kindertag oder wenn der Weihnachtsmann mit einer Kutsche vorbeikommt.
Im Herbst steht nun unser 30-jähriges Vereinsjubiläum der Begegnungsstätte Schmarl an. Ich hoffe, dass wir dies mit vielen Menschen, die mit mir ein Stück des Weges gemeinsam gegangen sind, begehen können. Ich erlebe jetzt eine Zeit, in der ich auf das Geschaffene zurückschauen und sehen kann, dass es immer irgendwie weiter geht.
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